0 % fürs Klima: ProVeg startet Mehrwertsteuer-Petition
0 % fürs Klima: ProVeg startet Mehrwertsteuer-Petition
Berlin, 01.11.2022
Im Rahmen der Kampagne „0 % fürs Klima – Mehrwertsteuer senken, Klima schützen“ startet die gemeinnützige Ernährungsorganisation ProVeg heute eine bundesweite Petition: ProVeg und die Unterstützer der Petition fordern die Bundesregierung auf, pflanzliche Lebensmittel einschließlich Alternativprodukten unverzüglich und dauerhaft von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Als Gründe für die Forderung nennt die Organisation die sich zuspitzende Klimakrise und die anhaltende finanzielle Belastung der Bevölkerung durch den drastischen Anstieg der Lebensmittelpreise im Zuge der aktuellen Inflation. Die Maßnahme verspricht zudem ökonomische Chancen für Lebensmittelhersteller und den Handel. ProVeg verschärft damit seine Position in der Mehrwertsteuer-Debatte – und den Druck auf die politischen Entscheidungsträger.
„Die Bürgerinnen und Bürger brauchen jetzt Rahmenbedingungen, die es ihnen leicht machen, klimafreundliche Entscheidungen an der Kasse zu treffen. Die hohen Lebensmittelpreise schränken die Entscheidungsfreiheit der Bevölkerung stark ein. Dies ist weder klima- noch sozialpolitisch länger tragbar“, mahnt Matthias Rohra, Geschäftsführer von ProVeg in Deutschland.
Klimaschutz erfordert Ernährungswandel
Unsere Ernährung ist für mindestens ein Fünftel der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und zählt damit zu den wichtigsten Stellschrauben im Klimaschutz.1 2 3 Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen in Deutschland stammen direkt oder indirekt aus der Produktion tierischer Lebensmittel.4 5 Auch die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sieht in der Produktion tierischer Lebensmittel eine entscheidende Ursache für den Klimawandel.6
Die Grundlage einer klimafreundlichen Ernährung bilden Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte, auch als Basis pflanzlicher Alternativprodukte. Denn pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Fisch, Milch und Co. spielen eine zentrale Rolle für die Ernährungswende: So verursacht die Herstellung von Kuhmilch im Schnitt drei- bis fünfmal so viele Treibhausgas-Emissionen und die Herstellung von Rindfleisch mehr als das Siebenfache der Emissionen, die bei der Herstellung pflanzlicher Alternativen entstehen.7
Sozialer Ausgleich durch Mehrwertsteuerbefreiung
Die Verbraucherpreise verzeichnen indessen die höchste Teuerung seit 1951, die Entwicklung der Erzeugerpreise lässt bereits weitere Preissteigerungen erwarten.8 Lebensmittel verteuerten sich mit 18,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr überproportional.9 Am stärksten betroffen sind die einkommensschwächsten Haushalte, die anteilig über 60 Prozent mehr ihrer Konsumausgaben für Lebensmittel ausgeben als die einkommensstärksten.10
Eine Änderung der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie erlaubt den EU-Mitgliedstaaten seit diesem Frühjahr, eine vollständige Befreiung ausgewählter Produkte und Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu regeln.11 Die Bundesregierung darf klimafreundliche Lebensmittel somit steuerlich befreien, um den Konsum zielgerichtet zu lenken.12 Anders als Nachbarländer wie die Niederlande und Polen nutzt die deutsche Regierung diesen hinzugewonnenen Handlungsspielraum bislang noch nicht.
Dreifachwirkung: effektiv, zielgerichtet, zukunftsträchtig
Die Erfahrung mit der temporären Mehrwertsteuersenkung von 2020 hat empirisch belegt, dass eine Steuersenkung nahezu vollständig als Preissenkung bei den Verbrauchern ankommt.13 14 Eine Konsumverlagerung zugunsten pflanzlicher Produkte von 5 bis 10 Prozent könnte die ernährungsbezogenen Emissionen im Schnitt um 5 Prozent senken.15 „Die Befreiung pflanzlicher Lebensmittel von der Mehrwertsteuer ist damit eine ebenso günstige wie wirksame Investition in den Klimaschutz und die Entlastung der Bevölkerung”, betont Dirk Liebenberg, Senior Project Manager für Food Industry and Retail bei ProVeg.
ProVeg schätzt die jährlichen Ersparnisse pro Haushalt auf derzeit rund 145 Euro. Haushalte mit niedrigerem Einkommen würden von der Entlastung dreimal stärker profitieren als Haushalte mit Spitzeneinkommen.16 „Die richtige Entscheidung muss die einfache Entscheidung sein, unabhängig vom Einkommen“, fordert Liebenberg daher.
ProVeg schätzt den Marktwert pflanzlicher Alternativprodukte im deutschen Einzelhandel derzeit auf etwa 1,5 Milliarden Euro. Die Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel haben sich von 2018 bis 2020 nahezu verdoppelt.17 Prognosen gehen auch in den kommenden Jahren europaweit von einem jährlichen Wachstum von mindestens 10 Prozent aus.18 Damit steigt zugleich die Nachfrage nach heimischen Rohstoffen für Alternativprodukte.
Der Bauernverband hat die wachsende Beliebtheit pflanzlicher Ernährungsformen daher als Chance für die Landwirtschaft erkannt.19 Landwirte könnten insbesondere von Tierhaltung und Futtermittelproduktion auf den Anbau pflanzlicher Proteinalternativen umsteigen. „Eine zukunftsträchtige Landwirtschaft, die auf pflanzliche Produkte setzt, bietet Planungssicherheit und zusätzliche Einkommensmöglichkeiten – das schulden wir unseren Bäuerinnen und Bauern“, befindet Liebenberg.
Quellen
1 Crippa, M., E. Solazzo, D. Guizzardi, F. Monforti-Ferrario, F. N. Tubiello and A. Leip. (2021): EDGAR-FOOD data. Figshare. Doi:10.6084/m9.figshare.13476666
2 Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz & Wissenschaftlicher Beirat Waldpolitik beim BMEL (2016): Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung. Gutachten. Berlin. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/Klimaschutzgutachten_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [28.10.2022]
3 Clark, M. A., N. G. G. Domingo, K. Colgan et al. (2020): Global food system emissions could preclude achieving the 1.5° and 2°C climate change targets. Science 370(6517), 705–708. Doi:10.1126/science.aba7357
4 UBA (2021): Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen. Online unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas#klimagase-aus-der-viehhaltung
5 Scheffler, M., K. Wiegmann, et al. (2021): Landwirtschaft auf dem Weg zum Klimaziel. Maßnahmen für Klimaneutralität bis 2045. Eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace. Online unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/210128_bedeutung_der_zielsetzung_klimaneutralitaet_fuer_den_landwirtschaftssektor.pdf
6 Gerber, P. J., H.Steinfeld, B. Henderson et al. (2013): Tackling climate change through livestock – A global assessment of emissions and mitigation opportunities. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), Rome.
7 Reinhard, G., S. Gärtner &, T. Wagner (2020): Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland. Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Heidelberg. Online unter: https://www.ifeu.de/fileadmin/uploads/Reinhardt-Gaertner-Wagner-2020-Oekologische-Fu%C3%9Fabdruecke-von-Lebensmitteln-und-Gerichten-in-Deutschland-ifeu-2020.pdf [28.10.2022]
8 Tagesschau.de (2022): Inflationsrate steigt auf 10,0 Prozent. Veröffentlicht am 29.09.2022. Online unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/inflation-deutschland-september-101.html [28.10.2022]
9 Statistisches Bundesamt (2022): Inflationsrate im August 2022 bei +7,9 %, veröffentlicht am 13.09.2022. Online unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_383_611.html [28.10.2022]
10 Priem, M., A. S. Kritikos, O. Morales et al. (2022): Folgen der Inflation treffen untere Mittelschicht besonders: staatliche Hilfspakete wirken nur begrenzt – Einkommensschwache Haushalte konsumieren anteilig mehr inflationsbelastete Güter. DIW Wochenbericht 28/2022, 387–394. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Online unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.845417.de/publikationen/wochenberichte/2022_28_1/folgen_der_inflation_treffen_untere_mittelschicht_besonders__staatliche_hilfspakete_wirken_nur_begrenzt.html#section2 [28.10.2022]
11 Amtsblatt der Europäischen Union (2022): Richtlinie (EU) 2022/542 des Rates vom 5. April 2022 zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und (EU) 2020/285 in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze. Online unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32022L0542 [28.10.2022]
12 Art. 98 Abs. 2 i. V. m. Anhang 3 Nr. 1 Alt. 1 für „Nahrungsmittel“: Diese Umsatzsteuersenkung ist auch unter Beachtung des Neutralitätsprinzips möglich, wenn sie nur pflanzlichen Nahrungsmitteln zugute kommt, da der deutsche Staat damit seiner Verpflichtung zum Umwelt- und Tierschutz aus Art. 20a GG nachkäme.
13 Deutsche Bundesbank (2020): Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 2020, 57–59, veröffentlicht am 02.11.2020. Online unter: https://www.bundesbank.de/resource/blob/850866/43c0dd89729d6149067e0fd83398a9ea/mL/2020-11-konjunktur-data.pdf [28.10.2022]
14 Ifo Schnelldienst Digital (2020): Die Preiseffekte der Mehrwertsteuersenkung in deutschen Supermärkten: Eine Analyse für mehr als 60 000 Produkte, veröffentlicht am 09.11.2020. Online unter: https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/die-preiseffekte-der-mehrwertsteuersenkung-deutschen [28.10.2022]
15 Vgl.:
- Öko-Institut e.V. (2022): Reform of the VAT rates for animal and plant products. Online unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/Greenpeace_Analysis_of_VAT_rates_for_animal_and_plant_products.pdf [28.10.2022]
- Törnqvist, D. (2022): The effect of an environmental tax on the consumption of dairy and plant-based drinks : the case of Sweden. Second cycle, A2E. Uppsala: SLU, Dept. of Economics. Online unter: https://stud.epsilon.slu.se/18085/ [28.10.2022]
- Caillavet, F., A. Fadhuile & V. Nichèle (2019): Assessing the distributional effects of carbon taxes on food: Inequalities and nutritional insights in France. Ecological Economics 163, 20–31
- Moberg, E., S. Säll, P.-A. Hansson, et al. (2021): Taxing food consumption to reduce environmental impacts – Identification of synergies and goal conflicts. Food Policy 101, 102090
- Säll, S., Moberg, E., Röös, E. (2020): Modeling price sensitivity in food consumption – a foundation for consumption taxes as a GHG mitigation policy, Working Paper Series 2020:01, Swedish University of Agricultural Sciences, Department of Economics Uppsala. Online unter: https://pub.epsilon.slu.se/16931/1/sall_s_et_al_200424.pdf [28.10.2022]
16 Bach, S. und N. Isaak (2017), Senkung der Mehrwertsteuer entlastet untere und mittlere Einkommen am stärksten, DIW Wochenbericht, 31, 627.
17 Plant-based foods in Europe: How big is the market? Smart Protein Plant-based Food Sector Report by Smart Protein Project, European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme (No 862957) (2021). Online unter: https://smartproteinproject.eu/plant-based-food-sector-report/ [25.10.2022]
18 Vgl. Meticulous Market Research (2022): Europe Plant-based Food Market by Type [Dairy Alternatives, Plant-based Meat, Meals, Confectionery, Beverages, Egg Substitutes, Seafood), Source (Soy, Wheat, Pea, Rice), Distribution Channel (B2B, B2C (Convenience Store, Online Retail)] – Forecast to 2029. Online unter: https://www.researchandmarkets.com/reports/5652740/europe-plant-based-food-market-by-type-source [31.10.2022] & UnivDatos Market Insights (2022): Vegan Foods Market: Current Analysis and Forecast (2021–2027). Online unter: https://univdatos.com/report/vegan-foods-market/ [31.10.2022]
19 Spiegel.de (2022): Soja statt Schwein: Bauernpräsident sieht in veganer Ernährung eine Chance, veröffentlicht am 17.01.2022. Online unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/vegane-ernaehrung-bauernpraesident-sieht-eine-chance-fuer-die-landwirtschaft-a-960771a1-2071-40e1-82b5-c6d5bbd8ea8e [28.10.2022]
Kontakt Lena Renz PR Manager ProVeg presse@proveg.com +49 176 177 858 52
Über 0 % fürs Klima „0 % fürs Klima – Mehrwertsteuer senken, Klima schützen“ ist eine Kampagne von ProVeg. Gemeinsam mit seinen Partnern fordert die Ernährungsorganisation eine dauerhafte Befreiung pflanzlicher Lebensmittel und Alternativprodukte von der Mehrwertsteuer. Die Forderung wird unterstützt von: Upfield, Endori, Berief Food, Dr. Mannah’s, hemi, Albert Schweitzer Stiftung, BALPro und der European Vegetarian Union (EVU). proveg.com/de/0fuersklima/
Über ProVeg ProVeg International ist eine Ernährungsorganisation, die sich für eine Transformation des globalen Nahrungsmittelsystems einsetzt, indem tierische Lebensmittel durch pflanzliche und zellkultivierte Alternativen ersetzt werden. ProVeg arbeitet zusammen mit internationalen Entscheidungsgremien, Unternehmen, Investorengruppen, den Medien und der breiten Öffentlichkeit am Übergang zu einer Gesellschaft und Wirtschaft, die weniger von der Tierhaltung abhängen und nachhaltiger für Menschen, Tiere und den Planeten sind. ProVeg hat den Status eines Ständigen Beobachters der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) sowie beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC), ist bei der UN-Umweltversammlung (UNEA) akkreditiert und hat den „Momentum for Change“-Preis der Vereinten Nationen erhalten. proveg.com/de/