"Was die Politik lange ignoriert hat, haben wir einfach gemacht"- Wie Hausengel seit 20 Jahren Standards in der Betreuung im häuslichen Umfeld setzt
Marburg (ots)
Es begann mit einer familiären Ausnahmesituation und ist heute ein gesellschaftliches Thema von zentraler Bedeutung: Als Simon Wenz' Großvater an Demenz erkrankte, war das die Geburtsstunde eines Unternehmens, das heute zu den prägenden Stimmen der häuslichen Versorgung gehört. 20 Jahre später sprechen Hausengel-Gründer und Geschäftsführer Simon Wenz sowie Geschäftsführerin Juliane Bohl über politische Verantwortung, notwendige Reformen, strukturelle Herausforderungen - und ihren Anspruch, Lösungen nicht nur zu fordern, sondern aktiv zu gestalten. Das Interview ist zugleich ein Appell an die Politik, die Augen nicht länger vor der Realität zu verschließen, sondern sich ihrer Verantwortung zu stellen - für eine Pflege, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Herr Wenz, Ihre Gründungsgeschichte ist persönlich motiviert. Wann wurde Ihnen klar, dass aus einem privaten Problem ein politisches Thema wurde?
Simon Wenz: Als mein Großvater dement wurde, standen wir als Familie plötzlich vor der Herausforderung, eine menschliche, verlässliche und gesetzeskonforme Betreuung zu organisieren. Ein Pflegeheim kam für uns nicht infrage, ambulante Dienste waren überlastet und bezahlbare Alternativen kaum auffindbar. So entstand Hausengel - zunächst aus persönlicher Not. Aber schnell war klar: Dieses Problem betrifft hunderttausende Familien in Deutschland.
Was war für Sie der treibende Punkt?
Simon Wenz: Ich sehe es als unsere unternehmerische Verantwortung, nicht nur Betroffene zu sein, sondern auch aktive Gestalter. Uns wurde bewusst, dass es diese Form der Betreuung im häuslichen Umfeld zwar bereits gibt - aber ohne verbindliche Standards, ohne klare Anerkennung, ohne strukturelle Förderung. Wir wollten zeigen, dass es besser geht, dass Qualität, Transparenz und Rechtskonformität in dieser Dienstleistung möglich sind. Darum haben wir gehandelt - früh, konsequent und mit Haltung.
Frau Bohl, Sie verantworten seit vielen Jahren die politische Arbeit für Hausengel. Was sind Ihre Kernforderungen an die Politik heute?
Juliane Bohl: Ich wünsche uns endlich eine mutige, aber differenzierte Pflegepolitik, die die sehr individuellen Lebenswirklichkeiten von Familien ernst nimmt. Es geht nicht darum, stetig neue gesetzliche Konstrukte zu schaffen, sondern bestehende, gut funktionierende Strukturen zu stützen. Den Gedanken eines Flex-Budgets, der im Rahmen der Koalitionsverhandlungen aufkam, halten wir in diesem Zusammenhang für besonders attraktiv. Er zielt auf das Wesentliche ab: mehr persönliche Entscheidungsfreiheit und Flexibilität für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen.
Was heißt das konkret für die Ausgestaltung des Pflegesystems?
Juliane Bohl: Wenn Menschen wissen, was sie brauchen, dann sollten sie die Mittel der Pflegeversicherung auch flexibel und selbstbestimmt einsetzen dürfen - mit notwendiger Dokumentation, aber ohne Papierkrieg, ohne ständige Prüfung durch Dritte, ohne das Gefühl, um jede Unterstützung betteln zu müssen. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollten als das behandelt werden, was sie sind: Menschen mit Verantwortung, Lebenserfahrung und der Fähigkeit, für sich und andere zu entscheiden.
Wo sehen Sie im aktuellen System die größten strukturellen Hürden, Herr Wenz?
Simon Wenz: Eine der grundlegendsten Hürden ist die Trennung zwischen Pflege, Betreuung und Alltagshilfe - sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Finanzierung. Dieses Silodenken verhindert ganzheitliche Versorgung. Dabei ist gerade die Verbindung all dieser Leistungen im häuslichen Umfeld zentral für das, was Menschen wirklich brauchen. Zudem fehlt es an einer konsequenten Einbindung der Betreuung im häuslichen Umfeld in die bestehenden Versorgungsstrukturen. Sie ist faktisch längst Realität - politisch wird sie aber noch immer wie ein Randphänomen behandelt. Und solange die Politik sich scheut, diese Versorgungsform eindeutig anzuerkennen und strategisch zu integrieren, bleibt sie strukturell benachteiligt. Das betrifft die Finanzierung ebenso wie die Einbindung in Pflegeberatung, regionale Strukturen oder Qualitätsdebatten.
Und wie kann die häusliche Betreuung insgesamt gestärkt werden?
Simon Wenz: Indem man endlich anerkennt, was längst Realität ist: Betreuung im häuslichen Umfeld ist kein Nischenmodell, sondern ein zentrales Element unseres Versorgungssystems. Sie verdient dieselbe politische Aufmerksamkeit, dieselbe Unterstützung und dieselbe strukturelle Einbettung wie andere Versorgungsformen. Dazu braucht es nicht unbedingt neue Gesetze, sondern vor allem den Mut, Bestehendes klug zu nutzen. Wir haben mit der DIN SPEC 33454 einen tragfähigen Branchenstandard mitentwickelt. Er definiert Qualität, Transparenz und Verantwortung - und ist sofort anwendbar. Was fehlt, ist der politische Wille, solche Standards flächendeckend anzuerkennen und zu fördern. Wer Betreuung im häuslichen Umfeld stärkt, entlastet Angehörige, stabilisiert das System und schafft echte Wahlfreiheit für Pflegebedürftige.
Aber werden diese Leistungen auch politisch als gleichwertig anerkannt?
Juliane Bohl: Auf dem Papier heißt es seit Jahren "ambulant vor stationär". Doch in der konkreten Umsetzung spiegelt sich diese Priorisierung nicht konsequent wider - insbesondere nicht, wenn es um die Betreuung im häuslichen Umfeld geht. Sie bleibt strukturell unterfinanziert, in vielen Bereichen rechtlich unklar positioniert und wird in der politischen Praxis häufig als nachrangig behandelt. Dabei ist sie für viele Menschen der zentrale Weg, ein selbstbestimmtes Leben in vertrauter Umgebung zu führen.
Betreuung im häuslichen Umfeld ist keine Pflege zweiter Klasse, sondern insbesondere in Kombination mit ambulanten Pflegediensten eine eigenständige, würdevolle Versorgungsform. Sie schafft Beziehung, Stabilität und Teilhabe - und verdient denselben Rückhalt wie andere Versorgungswege. Politische Anerkennung heißt nicht nur, sie zu erwähnen, sondern sie auch strukturell abzusichern und gezielt zu fördern.
Und was müsste politisch konkret passieren, damit das gelingt?
Juliane Bohl: Wenn die Politik es ernst meint mit Bürgernähe und Entlastung, führt kein Weg an der strukturellen Aufwertung der häuslichen Betreuung vorbei. Das heißt: Flexibilisierung der Leistungen der Pflegeversicherung, einheitliche Anerkennungsstrukturen statt föderaler Flickenteppiche - und ein klares Bekenntnis zu dem, was funktioniert. Betroffene wissen selbst am besten, was sie brauchen. Die Pflegepolitik muss das endlich ermöglichen.
Was bedeutet das in der Praxis - für die Arbeit von Hausengel?
Simon Wenz: Wir stehen seit zwei Jahrzehnten für Qualität und Verantwortung. Wir sind kein Vermittlungsdienst, sondern qualitativer Fachanbieter mit eigenem Pflege- und Betreuungskonzept. Wir arbeiten mit selbstständigen Betreuungskräften im Rahmen unserer ambulanten Pflegestrukturen - qualitätsgesichert, rechtskonform, betreuungsorientiert. Unsere tägliche Arbeit ist geprägt von Nähe zu den Menschen, von Vertrauen und Verlässlichkeit - auf Basis einer individuellen Bedarfserfassung und -analyse. Wir haben Standards gesetzt, wo andere noch diskutierten. Und wir freuen uns, wenn unsere Ansätze heute Schule machen - auch wenn sie manchmal ohne Quellenangabe zitiert werden.
Was erleben Sie aktuell als besonders frustrierend im politischen Alltag?
Juliane Bohl: Ganz klar: die föderale Zersplitterung, etwa bei der landesrechtlichen Anerkennung nach § 45 SGB XI. In einigen Bundesländern sind wir und/oder unsere Betreuungskräfte anerkannt, in anderen nicht - obwohl ein und dieselbe Dienstleistung mit exakt demselben Konzept vorliegt. Das ist realitätsfern und ein Hemmnis für Versorgungssicherheit. Wir brauchen endlich bundeseinheitliche Regelungen, die Klarheit und Planbarkeit schaffen.
Der neue Koalitionsvertrag liegt vor - was bedeutet er für Ihre Arbeit?
Juliane Bohl: Zunächst: Wir begrüßen ausdrücklich, dass Bürokratieabbau, Digitalisierung und Bürgernähe nun so deutlich adressiert werden. Das sind zentrale Anliegen, für die wir seit Jahren eintreten. Was die Betreuung im häuslichen Umfeld betrifft, sind wir nicht enttäuscht, dass sie nicht explizit erwähnt wird.
Hätten Sie sich nicht eine Wiederaufnahme des Themas gewünscht?
Juliane Bohl: Nein, denn unser Anspruch ist es, nicht ständig nach neuen Regelungen zu rufen, sondern die bereits entwickelten und funktionierenden Modelle sichtbar zu machen und ihre Anwendung zu fördern. Wir setzen auf Anerkennung, nicht auf neue Gesetzesflut. Der Koalitionsvertrag bietet mit dem Fokus auf Flexibilisierung, Digitalisierung und Entlastung die richtigen Ansatzpunkte, an die wir jetzt konstruktiv anknüpfen wollen.
Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung konkret?
Simon Wenz: Die Anerkennung der Realität. Betreuung im häuslichen Umfeld ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Pflege. Sie verdient Respekt, Förderung und Integration - nicht Misstrauen und bürokratische Hürden.
Juliane Bohl: Wir stehen an einem Wendepunkt. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, riskieren wir, funktionierende Versorgungsmodelle zu schwächen. Wir brauchen Mut zur Vereinfachung. Und den politischen Willen, funktionierende Strukturen nicht zu überregulieren, sondern zu stärken.
Wie geht es weiter bei Hausengel?
Simon Wenz: Wir gehen weiter unseren Weg. Mit Verantwortung, mit Haltung, mit dem Blick auf das Wesentliche: Menschen zu ermöglichen, dort zu leben und alt zu werden, wo sie sich am wohlsten fühlen - zu Hause. Und wir bringen uns weiter politisch ein. Weil wir überzeugt sind, dass unsere Erfahrung wertvoll ist. Diese wollen wir auch in Zukunft dafür einsetzen, die Versorgung in diesem Land besser zu machen.
Über die Hausengel Unternehmensgruppe
Nach dem Grundsatz "rundum versorgt" bieten die Hausengel bereits seit 2005 sowohl ambulante Fachpflege als auch sogenannte "24-Stunden-Betreuung" im eigenen Zuhause. An drei Standorten in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern bietet die Hausengel GmbH ambulante Kranken- und Altenpflege. Betreuung in häuslicher Gemeinschaft (sogenannte "24-Stunden-Betreuung") bietet das Unternehmen bundesweit an. Die eigene Unternehmensstruktur in Osteuropa mit Standorten in Polen, Ungarn, Rumänien, Litauen, Bulgarien, Kroatien, Lettland und der Slowakei sichert den hohen Qualitätsanspruch der Unternehmensgruppe. Die Hausengel Akademie ist der hauseigene Weiterbildungsträger, an dem alle Hausengel-Betreuungskräfte ausgebildet werden. Als bisher einziges Unternehmen der Branche bietet Hausengel darüber die IHK-Ausbildung "Betreuungskraft im häuslichen Umfeld" an. Hausengel ist Gründungsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft ausländische Pflegekräfte (BAGAP), die den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung rund um die Themen zur Rekrutierung und Beschäftigung ausländischer Pflegekräfte fördert.
Kontakt:
Hausengel Holding GmbH | Iris Merkel | Heskemer Straße 33 | 35085 Ebsdorfergrund | iris.merkel@hausengel.de | Tel.: +49 (0) 6424 928 37 148 | Mobil: +49 159 064 667 61
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