Bundesinnenminister Otto Schily: "Ich glaube, die ganze Diskussion um das Grundrecht auf Asyl ist wahrscheinlich müßig".
Hamburg (ots)
Bundesinnenminister Otto Schily hat sich heftig in die Debatte über Einwanderung und Asyl eingemischt. Energisch widersprach er auch Bundespräsident Johannes Rau und dem grünen Koalitionspartner, die nicht wollen, dass die neue Zuwanderungskommission sich auch mit dem Asylrecht beschäftigt. "Die Praxis zeigt jeden Tag aufs Neue, dass Asyl und Zuwanderung sich in unserem System verknäueln", sagt Schily in der aktuellen Ausgabe der ZEIT. "Mindestens 80, wenn nicht sogar 90 Prozent der Asylbewerber gehen in das Verfahren, um ein Bleiberecht zu erreichen, und nicht, weil sie in ihrer Heimat politisch verfolgt werden."
"Es handelt sich hier nicht um Glaubensfragen", so Schily weiter, "sondern es geht um praktische Lösungen. Eines darf der Kommission sicherlich nicht zugemutet werden: dass ihr Denk- und Prüfungsverbote auferlegt werden. Dann hat sie schon auf den ersten Metern verloren."
"Die Hälfte unserer Verwaltungsgerichtsbarkeit ist mit Asylverfahren beschäftigt", beklagt Schily, "über eine halbe Million Asylverfahren sind rechtskräftig abgeschlossen, ohne dass die Ausreisepflichtigen das Land wieder verlassen haben. Das Problem sollten wir daher nicht bagatellisieren." Der Innenminister plädiert dafür, das Asylverfahren "radikal zu verkürzen und zu vereinfachen". Er könne sich auch ein Asylverfahren ohne Beteiligung der Justiz vorstellen, so Schily, "aber es wird schwierig sein, dies aus der Rechtswegegarantie des Grundgesetzes auszuklammern. Aber warum muss hierzulande alles verrechtlicht werden. Wenn wir Erdbebenopfern in der Türkei helfen, gibt es darauf auch kein subjektives Klagerecht."
Er wolle sich aber im Streit um das Grundrecht auf Asyl "nicht verkämpfen", meint der Bundesinnenminister und bezieht damit zum ersten Mal öffentlich eine neue politische Position. Wörtlich sagt er: "Ich glaube, die ganze Diskussion um das Grundrecht auf Asyl - und das ist vielleicht auch eine Korrektur gegenüber meiner bisherigen Position - ist wahrscheinlich müßig." Denn auch die Genfer Flüchtlingskonvention führe zu einem Prüfverfahren. Nur seien diese Verfahren hierzulande nicht optimal. "Andere europäische Staaten kommen zu schnelleren Ergebnissen." Das sollte sich die Zuwanderungskommission "in Ruhe und ohne Vorurteile" anschauen.
Diese Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 30/2000 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 20. Juli 2000 ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Interviews kann angefordert werden.
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