"Wettbewerber haben den Markt verpennt"
Telekom-Chef Ron Sommer in
der ZEIT
Vollständiges Interview
Hamburg (ots)
Die Zeit: Sie haben wegen der umstrittenen Immobilienbewertung den Staatsanwalt im Haus, werden häufig als Monopolist angegriffen und müssen zugleich verärgerte Aktionäre vertrösten. Macht Ihnen Ihr Job eigentlich noch Spaß?
Ron Sommer: Eindeutig ja. Zwar machen die drei von Ihnen angesprochenen Aspekte nicht unbedingt Freude. Aber ich kann Ihnen sagen, was Spaß macht. Wir haben eine Behörde in einen zukunftsträchtigen, innovativen Kommunikationskonzern verwandelt. Als ich begonnen habe, hat man mir Gesellschaften wie AT&T und British Telecom als Vorbild angepriesen; so müsse die Deutsche Telekom auch werden. Gott sei Dank sind wir nie so geworden. Wir zählen heute weltweit zu den stärksten Dienstleistern in der Branche. Und darauf sind wir stolz.
Zeit: Trotzdem ist der Kurs der T-Aktie abgestürzt. Worin sehen Sie die Hauptursachen dafür?
Sommer: Es kommt immer darauf an, welchen Zeitraum Sie betrachten. Wir sind mit 14 Euro gestartet. Dann gab es an den Börsen einen ungewöhnlichen Boom. Diese Explosion hat anschließend zu einer nicht erwarteten Kurskorrektur geführt. Von dieser Entwicklung waren aber alle betroffen, nicht nur wir. Als die Telekom-Aktie von über 100 Euro auf 60 sank, dachten wir, der Kurs habe sich eingependelt. Was danach kam, war eine ebenso übertriebene Bewegung nach unten wie die zuvor nach oben. Aber das ist eben der Markt. Ein Problem ist, dass wir in Deutschland eine sehr junge Aktienkultur haben. In den Vereinigten Staaten wundert man sich weniger über solche Kursausschläge.
Zeit: Ist Ihnen nicht unwohl dabei, ein Spielball solcher irrationalen Abläufe zu sein? Oder spiegeln die gegenwärtig knapp 20 Euro den tatsächlichen Wert des Unternehmens wider?
Sommer: Keineswegs. Aber der Markt ist sehr kompliziert - und sensibel. Das muss man akzeptieren. Trotz allem: Unser Unternehmen steht heute viel besser da als zu jener Zeit, als es mit 100 Euro bewertet wurde.
Zeit: Haben Sie selbst auch Fehler gemacht, die zu dem Kurssturz beigetragen haben?
Sommer: Nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Aber der zerlegt auch das Unternehmen. Sämtliche unserer großen Entscheidungen sind auch rückblickend richtig gewesen, die Restrukturierung des Unternehmens und die Programmierung auf Wachstum in vier Bereichen: im Festnetz, im Mobilfunk, Online-Geschäft und als EDV-Dienstleister. Etlichen anderen Exmonopolisten in Europa ist das nicht gelungen. Sie müssen sich jetzt zerlegen.
Zeit: War es denn auch richtig, mit der Neubewertung der Immobilien so lange zu warten? Sie haben Anfang des Jahres vier Milliarden Mark abschreiben müssen und vergangene Woche bekannt gegeben, noch einmal fast eine Milliarde wertberichtigen zu müssen.
Sommer: Namhafte Experten haben jetzt noch einmal bestätigt, dass wir keine Fehler bei der Bilanzierung gemacht haben. Es ist höchst kompliziert, mehr als 10 000 Immobilien zu bewerten. Das war ein riesiger Aufwand, übrigens auch schon für die Eröffnungsbilanz der Telekom.
Damals durfte ein bestimmtes Verfahren angewendet werden, bei dem vergleichbare Grundstücke mit dem Durchschnittswert angesetzt werden. Nach den ersten Informationen über mögliche Probleme gab es eine Sonderprüfung, die uns sowohl die Methodik als auch die Wertansätze bestätigte. Aber weil wir die Strategie geändert haben und uns jetzt komplett von unseren Immobilien trennen wollen, musste jede einzeln neu bewertet werden. Dem Abschreibungsbedarf stehen übrigens stille Reserven in Höhe von 2,8 Milliarden Mark gegenüber, die wir nach geltendem Bilanzrecht nicht aktivieren dürfen.
Zeit: Weil es Klagen von Aktionären gab, ermittelt der Staatsanwalt aber weiter.
Sommer: Für den Staatsanwalt und seine Mitarbeiter ist dieses Haus offen. Wir haben nichts zu verbergen.
Zeit: Kritik ist auch an Ihrer Strategie während der Versteigerung der UMTS-Lizenzen aufgekommen. War es richtig, so hoch zu pokern?
Sommer: In Deutschland ist ein extrem cleveres Verfahren zum Zuge gekommen. Es war klar, dass es viel Geld kosten würde. Wir hatten für jeden Schritt genau festgelegt, was zu tun ist. Der Ablauf war dann sehr spannend. Schließlich haben wir gesagt: Für uns ist jetzt Schluss. Die Behauptung, wir hätten die Summe für den Finanzminister hochgetrieben, ist absurd. Und Teilnehmer, die heute Probleme haben, hätten sich vorher fragen müssen, welche Chancen sie als fünfter und sechster Anbieter auf dem Markt haben. Hätten sie rechtzeitig Konsortien gebildet, wären nicht so viele an den Start gegangen, und wir wären alle günstiger davongekommen.
Zeit: Hoffen Sie denn, dass die Bundesregierung den Lizenznehmern noch entgegenkommt und Erleichterungen schafft?
Sommer: Was allen etwas bringen würde, wäre die Verlängerung der Abschreibungszeit. Da verliert keiner, es gewinnen alle. Eine weitere Frage ist, was geschieht, wenn es gar nicht zum Aufbau von sechs Netzen kommt, weil sich jemand zurückzieht und die Lizenz zurückgeben muss. Es wäre nicht akzeptabel, wenn diese Frequenzen dann zum Nulltarif neu vergeben würden.
Im Übrigen muss ich noch einmal meine Kritik an Brüssel wiederholen. Manche Länder haben die Lizenzen fast verschenkt, andere versteigert, wieder andere subventionieren im Nachhinein. Die EU hat es versäumt, die Vergabebedingungen zu harmonisieren. Das Thema wird uns noch verfolgen.
Zeit: Stichwort Europa und Globalisierung. Würden Sie heute für den amerikanischen Mobilfunker VoiceStream noch einmal so viel bezahlen wie zur Zeit des Börsenbooms?
Sommer: Es ist schon verwunderlich, dass das kritisiert wird. Wir sind die Einzigen, die sich transatlantisch positionieren konnten. Und das mit einem Preis, der sich mit dem Weltmarkt bewegt hat. Wir haben mit VoiceStream eine einzigartige Position für den Konzern geschaffen. Es ist eine große Chance, der erste und flächendeckende GSM-Anbieter in den USA zu sein. Damit werden Werte für die Zukunft geschaffen. Und mit sieben Millionen Kunden auf dem amerikanischen Markt sind wir gar nicht so klein, wie es scheint. Der größte US-Anbieter hat nur 28 Millionen Kunden. Von denen telefonieren allerdings 40 Prozent noch mit einer alten Technologie.
Zeit: Welches Unternehmen hätten Sie denn gern noch, wenn Sie es bezahlen könnten?
Sommer: Wir haben im Moment keinen Druck, weitere Unternehmen zu kaufen, weil wir zweistellig wachsen. Und in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es nur ganz wenig Unternehmen geben, die potenzielle Käufer sind. Sehr viele werden hingegen zum Verkauf anstehen.
Zeit: Wie viele von den Exmonopolisten bleiben übrig in Europa?
Sommer: Alle werden in zwei, drei Gruppierungen aufgehen. Eine davon sind wir. Dort wird die Telekom im Zentrum stehen. Wir haben aber von der verhinderten Fusion mit Telecom Italien lernen müssen, dass man in Europa dafür im Augenblick politisch noch nicht reif ist. Deshalb lehnen wir uns erst einmal locker zurück.
Zeit: Um zu den Käufern zu gehören, brauchen Sie aber mehr Geld, als Sie es zurzeit haben. Wie steht es um die Gewinne des Konzerns? Sie verweisen gern auf den Ebitda, also den Ertrag ohne Abschreibungen, Zinsen und Steuern. Der fiel mit elf Milliarden Euro für die ersten neun Monate 2001 recht stattlich aus. Andererseits werden Sie beim Gewinn vor Steuern für 2001 einen Verlust schreiben. Geht es der Telekom nun gut oder schlecht?
Sommer: Richtig gut wird es uns gehen, wenn wir, ganz egal nach welchen Regeln, nur positive Zahlen vorweisen können. Aber schon heute geht es uns, verglichen mit unseren internationalen Konkurrenten, sehr gut. Und das, obwohl wir jährlich rund sechs Milliarden Euro wegen des drastischen Preisverfalls an Umsatz verlieren. Gleichzeitig konnten wir das aber durch neue Geschäftsfelder mehr als kompensieren.
Zeit: Wie hoch wird denn der Verlust für 2001 ausfallen?
Sommer: Der Ebitda wächst auf 15 Milliarden Euro. Darüber hinaus werde ich heute die Jahresabschlusszahlen nicht diskutieren.
Zeit: Ihr Glück war es, dass es bislang keinen mächtigen Gegenspieler gibt, der Ihnen rundum Paroli bieten kann.
Sommer: Das stimmt nicht. Sie dürfen nicht nur den nationalen Markt betrachten. Meine größten Wettbewerber sind die britische Vodafone oder die japanische NTT Docomo. Bei unserem EDV-Dienstleister T-Systems sind es die IBM und AOL bei T-Online. Das Problem ist, dass der deutsche Regulierer meine globalen Wettbewerber in Deutschland gegen mich beschützt. Diese Vorteile habe ich in deren Ländern nicht.
Zeit: Es würde viel Druck von Ihnen genommen, wenn Sie Fest- und Ortsnetz voneinander trennten. Denn in dieser Kombination liegt doch viel Konfliktstoff.
Sommer: Die Monopolkommission hat diesen Vorschlag gemacht, der nichts anderes bedeutet, als die Telekom zu zerlegen. Wollen Sie aber wirklich den einzigen deutschen Global Player zerstückeln und damit zerstören? Die Amerikaner haben erkannt, dass es ein Fehler war, AT&T seinerzeit bürokratisch und nicht nach Kundenwünschen zu zerlegen. Die daraus entstandenen Babybells im Nah-und Regionalgeschäft haben sich inzwischen wieder zusammengeschlossen. Und den Telefongesellschaften, die nur Ferngespräche anbieten, geht es sehr, sehr schlecht.
Zeit: Das ändert aber nichts daran, dass Sie in den meisten Ortsnetzen noch einen Marktanteil von 98 Prozent haben, der Wettbewerb dort also nicht vorankommt.
Sommer: Falsch. Die regionalen Telefongesellschaften haben zum Teil bereits zweistellige Marktanteile in den Ortsnetzen. Rund 60 Prozent der Bevölkerung können in Deutschland inzwischen auch in den Ortsnetzen zwischen Anbietern frei wählen.
Zeit: Sie versuchen aber, vor allem mit dem ebenso schnellen wie billigen Zugang DSL Ihr Quasimonopol in den Ortsnetzen zu retten. Ihre Wettbewerber werfen Ihnen vor, systematisch Verluste in Kauf zu nehmen, um diesen Zukunftsmarkt zu besetzen.
Sommer: Ich muss meinen Wettbewerbern die Anschlussleitung zu einem regulierten Preis überlassen. Sie hätten also längst die Chance gehabt, DSL in großem Stil anzubieten. Doch das haben sie verpennt. Schließlich kam die Telekom zur Überraschung aller und entwickelte DSL zum Massenmarkt. Und nur weil wir erfolgreich sind, müssen wir uns als Monopolist beschimpfen lassen.
Zeit: Wohl nicht ohne Grund. Denn die Regulierungsbehörde hat gerade wegen DSL ein Verfahren gegen Sie eingeleitet.
Sommer: Leider versteht sich die Behörde als eine Instanz, die sich nur um die Wettbewerber kümmern muss. Das führt zu falschen Strategien. Schließlich geht es auch um die Kunden. Deutschland ist der offenste Markt der Welt. Wir haben 700 Wettbewerber. Und die wollen wir nicht subventionieren müssen.
Zeit: Fürchten oder hoffen Sie denn eher, dass Sie die DSL-Preise erhöhen müssen?
Sommer: Das ist keine Frage von Furcht und Hoffnung. Wenn die Regulierungsbehörde ihre Ankündigung wahr macht, dann müssen wir die Preise erhöhen. Das wäre zum Nachteil Deutschlands. Wir haben das Land zur Online-Nation gemacht. Unsere Wettbewerber interessiert nur die Frage, wie sie ihre Margen zulasten der Telekom verbessern können. Außerdem wollen sie nur Rosinen picken. Die Masse der Kundschaft interessiert sie nicht.
Zeit: Die Telekom könnte mit einer Preiserhöhung die Phase der Anlaufverluste verkürzen.
Sommer: Ich halte wenig von kurzfristigen Strategien. Zudem verstehen wir uns als Unternehmen, das eine gesamtwirtschaftliche Verpflichtung hat. Es geht auch um den Fortschritt in Deutschland.
zeit: Dem täte es aber auch gut, wenn es langfristig einen stabilen Wettbewerb gäbe.
Sommer: Wir können nicht mit einer weltfremden Definition losgelöst von der Praxis isolierte Märkte betrachten. Es gibt auch einen Wettbewerb der Technologien. Beispielsweise ist mein größter Konkurrent in den Ortsnetzen der Mobilfunk. Ultraliberalismus kann dazu führen, dass man die Telekom in den Bankrott führt. Und dann werden dieselben Theoretiker in fünf Jahren darüber diskutieren, dass Deutschland keinen Mercedes in der Telekommunikation hat. Und dagegen kämpfe ich.
Zeit: Tatsache ist aber, dass Sie es Ihren Konkurrenten, die auf gesetzlich geregelte Vorleistungen der Telekom angewiesen sind, nicht gerade einfach machen.
Sommer: Es kann doch nicht sein, dass wir die Arbeit tun und auch noch die Kosten dafür tragen. Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken und nicht den Sprücheklopfern. Wir haben in Deutschland im Gegensatz zum Rest von Europa alles an Regelungen zugunsten des Wettbewerbs umgesetzt, was überhaupt möglich ist. Selbst Japan und die USA sind noch weit hinter uns. Wie masochistisch sind wir eigentlich? Es geht schließlich auch um viele Arbeitsplätze. Die Telekom ist doch kein Spielzeug.
Zeit: Es geht auch um die Arbeitsplätze bei Ihren Konkurrenten.
Sommer: Meine Wettbewerber haben große Chancen gehabt. Ich an deren Stelle hätte ein Unternehmen aufgebaut, da hätte die Telekom Blut geschwitzt. Wir haben das Glück gehabt, dass unsere Wettbewerber ihren kurzfristigen Chancen nachgelaufen sind zum Nachteil der langfristigen Strategie.
Das Gespräch führten Gunhild Lütge und Fritz Vorholz
Das vollständige Interview steht für Zitate mit Nennung der ZEIT (DIE ZEIT Nr. 1, EVT 27.12.2001) zur Verfügung. Die Veröffentlichung des Volltextes ist honorarpflichtig.
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