Muschg: Bei Kandidatenwahl zur Kulturhauptstadt wurde kein Armuts- oder Mitleidsbonus verteilt
Hamburg (ots)
Der Schriftsteller Adolf Muschg, Mitglied der Jury für die deutsche Kandidatenwahl zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010, berichtet in der ZEIT über die Arbeit der siebenköpfigen Jury. Nur Essen und Görlitz können noch Europäische Kulturhauptstadt 2010 werden. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen? "Tausend Kilometer im schwarzen Konferenzbus. Zehn Visitationen in fünf Tagen, jede nach gleichem Drehbuch auf drei Stunden beschränkt. Natürlich war unsere geräderte Gerichtsbarkeit bestechlich. Um es mit Brechts Richter Azdak zu sagen: Wir nahmen. Zum Beispiel erlesenes Fingerfutter während der Hearings, Stapel von nachgereichtem Material (auch teure Bildbände); vor allem nahmen wir Regenschirme."
Muschg erzählt von den Vorurteilen, mit denen er die Reise durch die zehn Bewerberstädte antrat, insbesondere denen gegenüber der Stadt Essen: "Ich war mit schlechtem Gewissen hingekommen, traurig sicher, diese Agglomeration könne es nicht zur Kulturhauptstadt schaffen ... Nun aber geriet meine Optik in Bewegung, und zwar in der Größenordnung Bergsturz ... Eine ganze Landschaft enthüllte sich in drei Stunden als Bühne eines umfassenden Trauerspiels, dessen Besetzung - unscheinbar oder spektakulär - den Untergang verweigerte ... Was die Zeit schon abgeschrieben hatte, war ihr, als urbanistische Avantgarde, plötzlich wieder voraus. Das ehemalige Revier atmete nicht mehr Staub, sondern Zukunft." Deshalb sei sich die Jury in diesem Fall auch schnell einig gewesen.
Muschg beschreibt die Schwierigkeiten, in einem solchen Verfahren "gerecht" zu sein: "Im strengen Stillschweigen, das alle Juroren, bis zur Schlussverhandlung in Regensburg, über ihr persönliches Ranking wahrten, lauerte auch eine still-schweigende Bereitschaft zum Verrat. Rationalisiert etwa in der Frage, ob eine bestimmte Stadt, für sich schon 'kulturell' überzeugend genug, die 'Hauptstadt' denn noch nötig habe. Andererseits: Wir hatten keinen Armuts- oder gar Mitleidsbonus zu verteilen."
Den kompletten Beitrag der ZEIT Nr. 12 vom 17. März 2005 senden wir Ihnen gerne zu.
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