Technische Universität München
Was gab den ersten Molekülen ihre Stabilität?
TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN
PRESSEMITTEILUNG
Neue Erkenntnisse über die Entstehung des Lebens
Was gab den ersten Molekülen ihre Stabilität?
• Bislang war unklar, wie komplexe Moleküle in der Ursuppe überstehen konnten
• Instabile RNA-Moleküle werden durch Doppelstränge stabilisiert
• Möglicherweise können RNAs ihren eignen komplementären Strang bilden
Die Entstehung des Lebens ist noch immer ein großes Rätsel. Wie konnten sich komplexe Moleküle bilden und über längere Zeit bestehen bleiben, ohne wieder zu zerfallen? Ein Team des Münchner Exzellenzclusters ORIGINS hat gezeigt, durch welchen Mechanismus die ersten RNA-Moleküle in der Ursuppe stabilisiert worden sein könnten: Lagern sich zwei RNA-Stränge zusammen, erhöht sich deren Stabilität und Lebensdauer deutlich.
Das Leben auf der Erde begann höchstwahrscheinlich im Wasser. Vielleicht in einem Gezeitentümpel, der bei Ebbe vom Meerwasser abgeschnitten war, bei Flut hingegen von Wellen überspült wurde. Über viele Milliarden Jahre hinweg haben sich dort komplexe Moleküle wie DNA, RNA oder Proteine und schließlich die ersten Zellen gebildet. Doch wie genau dies geschah, kann bisher niemand erklären.
„Wir wissen, welche Moleküle auf der frühen Erde existiert haben. Die Frage ist: Können wir daraus im Labor die Entstehung des Lebens nachbauen?“, sagt Job Boekhoven, Professor für Supramolekulare Chemie an der Technischen Universität München (TUM). Das von ihm geleitete Team des Exzellenzclusters ORIGINS interessiert sich vor allem für die RNA. „RNA ist ein faszinierendes Molekül“, sagt Boekhoven. „Sie kann sowohl Informationen speichern als auch biochemische Reaktionen katalysieren.“ In der Wissenschaft geht man daher davon aus, dass von allen komplexen Molekülen als erstes die RNA entstanden sein muss.
Das Problem ist: Wirksame RNA-Moleküle bestehen aus hunderten oder tausenden von Basen und sind sehr instabil. Im Wasser zerfallen RNA-Stränge schnell in ihre Einzelteile – ein Vorgang, der als Hydrolyse bezeichnet wird. Wie also konnte RNA in der Ursuppe überleben?
Wie entstanden Doppelstränge in der Ursuppe?
Im Labor nutzten die Forschenden von TUM und LMU ein Modellsystem von RNA-Basen, das einfacher Bindungen eingeht als die natürlich vorkommenden Basen in unseren heutigen Zellen. „Wir hatten schließlich keine Millionen Jahre Zeit, sondern wollten schnell eine Antwort“, erklärt Boekhoven. Das Team gab diese schnellbindenden RNA-Basen in eine wässrige Lösung, gab eine Energiequelle hinzu und überprüfte, wie lang die gebildeten RNA-Moleküle waren. Das ernüchternde Ergebnis: Die gebildeten Stränge von bis zu fünf Basenpaaren Länge überlebten nur wenige Minuten.
Anders sah es aus, als die Forschenden zu Beginn auch kurze Stränge von fertiger RNA hinzugaben. An diese lagerten sich die freien komplementären Basen schnell an, ein Vorgang der als Hybridisierung bezeichnet wird. Es entstanden Doppelstränge von drei bis fünf Basenpaaren Länge, die über viele Stunden hinweg stabil waren. „Das Spannende daran ist, dass Doppelstränge zur Faltung von RNA führen, wodurch diese katalytisch aktiv werden kann“, erklärt Boekhoven. Die Doppelstrang-RNA hat also zwei Vorteile: Sie verlängert die Lebensdauer des Moleküls in der Ursuppe und sie bildet die Grundlage für katalytisch aktive RNA.
Wie aber kann ein Doppelstrang in der Ursuppe entstanden sein? „Wir testen gerade, ob es möglich ist, dass die RNAs ihren eignen komplementären Strang bilden können“, sagt der Chemiker. Es wäre denkbar, dass sich ein Molekül aus drei Basen mit einem Molekül aus drei komplementären Basen zusammenlagert – das Produkt wäre ein stabiler Doppelstrang. Dank seiner längeren Lebensdauer könnten sich dann weitere Basen an ihn anlagern und der Strang würde wachsen.
Evolutionärer Vorteil für Protozellen
Noch eine weitere Eigenschaft von Doppelstrang-RNA könnte sich positiv auf die Entstehung des Lebens ausgewirkt haben. Dazu muss man zunächst wissen, dass RNA-Moleküle auch sogenannte Protozellen bilden können, kleine Tröpfchen, deren Innenraum von der Außenwelt abgeschnitten ist. Diese Protozellen haben jedoch keine stabile Zellmembran. Sie können daher einfach fusionieren und dabei ihre Inhalte vermischen. Für die Evolution ist das schlecht, denn es verhindert, dass einzelne Protozellen eine eigene Identität entwickeln. Besteht der Rand der Protozelle hingegen aus Doppelstrang-RNA, wird er stabiler und Fusionen werden erschwert.
Erkenntnisse auch für die Medizin
In Zukunft möchte Job Boekhoven weiter daran arbeiten, die Entstehung und Stabilisierung der ersten RNA-Moleküle zu verstehen. „Manche Menschen denken, diese Forschung sei so eine Art Hobby, dabei haben während der Corona-Pandemie alle Leute gesehen, wie wichtig RNA-Moleküle zum Beispiel für Impfstoffe sein können“, sagt Boekhoven. „Unsere Forschung will also nicht nur eine der ältesten Fragen der Wissenschaft beantworten. Wir generieren dabei auch Wissen über RNA, das vielen Menschen zunutze kommen könnte.“
Publikation:
Kriebisch, C.M.E., Burger, L., Zozulia, O. et al. Template-based copying in chemically fuelled dynamic combinatorial libraries. Nat. Chem. (2024). https://doi.org/10.1038/s41557-024-01570-5
Weitere Informationen:
• Studienautorin Christine Kriebisch über den Verlauf der Forschungsarbeit in der Springer-Nature-Serie „Behind the Paper“: https://communities.springernature.com/posts/a-journey-towards-understanding-the-stabilization-of-labile-molecules?badge_id=nature-chemistry
• „Nature Chemistry“-Newsartikel über die Studie: Mukhopadhyay, R.D. A template for artificial life. Nat. Chem. (2024). https://doi.org/10.1038/s41557-024-01589-8
• Podcast “Das ,ORIGINS of Life Lab’: Der Entstehung des Lebens auf der Spur”: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/die-anfaenge-des-lebens
• Der Exzellenzcluster ORIGINS untersucht die Entstehung des Weltalls und den Ursprung des Lebens. Hier forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus TUM, LMU, ESO, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Max-Planck-Institut für Physik, Max-Planck-Institut für Biochemie, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und Leibniz-Rechenzentrum. https://www.origins-cluster.de/
• Die Studie wurde gefördert von der Volkswagen Stiftung und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder.
• Exzellenzcluster an der TUM: https://www.tum.de/forschung/exzellenzcluster
Zusatzinformationen für Redaktionen:Fotos zum Download: https://mediatum.ub.tum.de/1750629
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Job Boekhoven
Technische Universität München (TUM)
Professur für Supramolekulare Chemie
+49 89 289 54400
job.boekhoven@tum.de
Kontakt im TUM Corporate Communications Center:Klaus Becker
Pressereferent
Tel.: +49 89 289 22798
klaus.becker@tum.de
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 650 Professuren, 52.000 Studierenden und 12.000 Mitarbeitenden eine der weltweit stärksten Universitäten in Forschung, Lehre und Innovation. Ihr Fächerspektrum umfasst Informatik, Ingenieur-, Natur- und Lebenswissenschaften, Medizin, Mathematik sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Sie handelt als unternehmerische Universität und sieht sich als Tauschplatz des Wissens, offen für die Gesellschaft. An der TUM werden jährlich mehr als 70 Start-ups gegründet, im Hightech-Ökosystem München ist sie eine zentrale Akteurin. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Büros in Brüssel, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder:innen wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings wird sie regelmäßig als beste Universität in der Europäischen Union genannt.