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Börsen-Zeitung: Zum Abschuss freigegeben?, Kommentar von Bernd Wittkowski zu den Forderungen einiger Politiker nach einem Rücktritt des BaFin-Präsidenten Jochen Sanio

11.09.2006 – 17:55

Frankfurt (ots)

Erst schießen, dann fragen: Nach diesem Motto
scheinen einige Politiker den mutmaßlichen Untreuefall bei der 
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erledigen zu 
wollen - und deren Präsidenten Jochen Sanio gleich mit. Was nach dem 
Bekanntwerden eines Gutachtens von PwC diesmal über die BaFin - sonst
sind die Wirtschaftsprüfer gewöhnlich für die Aufsicht unterwegs - 
verlautbart wird, ist hart an der Grenze zur Vorverurteilung. Es 
sieht ganz so aus, als sei manchen die Gelegenheit sehr willkommen, 
den unbequemen Sanio loszuwerden. Der ist mit seinem ausgeprägten 
Selbstbewusstsein, das die intellektuelle Überlegenheit mitunter 
vielleicht eine Spur zu deutlich durchschimmern lässt, schon vielen 
Gesprächspartnern auf die Nerven gegangen. Auch Gesprächspartnern in 
Regierung und Parlament.
Aber Finanzaufsicht ist nun einmal keine Angelegenheit für 
Weicheier. Wenn Kontrolle wirken soll, muss sie den Kontrollierten 
bisweilen weh tun. Das wissen - ungeachtet gelegentlicher Klagen über
eine allzu intensive und pingelige Beaufsichtigung - im Grunde auch 
Banken, Versicherer und Wertpapierhäuser. Die Qualität der 
Überwachung ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb der 
Finanzplätze, von Effizienz und Schlagkraft der Aufsicht seitens 
BaFin und Bundesbank profitieren mithin nicht zuletzt die Akteure 
selbst. Andererseits muss sich eine Aufsicht, was die Korrektheit 
ihres eigenen Handelns angeht, an allerhöchsten Ansprüchen messen 
lassen. Ein Ordnungshüter, der nicht Vorbild ist, verliert seine 
Glaubwürdigkeit. Die vom Bundesrechnungshof aufgedeckte, von Sanio 
selbst im April angezeigte Veruntreuung durch einen leitenden Beamten
und mögliche weitere Korruptionsfälle sind deshalb für die BaFin 
megapeinlich, zumal der Vorwurf im Raum steht, dass sich die 
kriminelle Energie nicht zuletzt aufgrund organisatorischer Mängel 
und Kontrolldefizite entladen konnte.
Aber deshalb Sanio, dessen persönliche Integrität über jeden 
Zweifel erhaben ist und der sich als Finanzaufseher gerade auch auf 
der internationalen Bühne eines untadeligen Rufs erfreut, zum 
Abschuss freigeben? Wenn einer in der BaFin mit der gebotenen Härte 
aufräumen kann, um Wiederholungsfällen vorzubeugen, dann doch am 
ehesten er. Wer erst schießt und dann fragt, macht sich daher selbst 
verdächtig, dass es in Wirklichkeit darum geht, einen bequemeren 
Gesprächspartner zu installieren.
(Börsen-Zeitung, 12.9.2006)

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