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WAZ: Nobelpreis an Paul Krugman - Ohrfeige für die Lehrstuhl-Ökonomie. Leitartikel von Claus Leggewie, Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen

13.10.2008 – 19:47

Essen (ots)

Dass der politische Ökonom den Nobelpreis für
Wirtschaft bekommt, ist eine verdiente Ohrfeige für die etablierte 
Wirtschaftswissenschaft. Die Lehrstuhl-Ökonomie ist durch die 
aktuelle Banken- und Börsenkatastrophe ebenso blamiert wie die Banker
und Börsianer, die uns diesen Schlamassel eingebrockt haben; und als 
TV-Experten auftreten, als hätten sie nicht vor wenigen Wochen auf 
jenen Staat geschimpft, den sie nun als Krisenmanager rufen.
Wer Paul Krugman vor kurzem in Essen erlebt hat - das KWI hatte 
ihn mit der WAZ zur Diskussion seines neuen Buches in die 
Philharmonie eingeladen -, erlebte keinen schroffen 
Anti-Kapitalisten. Aber hier sprach, ironisch und gelassen, der 
Wirtschaftskenner, der sah, wie Wall Street und der 
Bush-Administration das Ruder aus den Händen geglitten war. Und der 
sich gegen den Konsens seiner Zunft und scharfe Angriffe von rechts 
nicht scheute, diese marktradikale Strategie als politisch, genauer: 
rechts(-radikal) motiviert herauszustellen. Als Klassenkampf von 
oben.
Das heißt für Krugman nicht, dass er den Staat über alles lobte. 
Im Gegenteil. Für ihn muss die Wirtschaft sich selbst heilen, und 
dazu braucht man eine an der Wirklichkeit ausgerichtete Wissenschaft 
und eine an den Menschen orientierte Wirtschaft. Hoffen wir mit 
Krugman, mit dem wir einen lebhaften Abend verbringen durften, dass 
die gegenwärtige Krise eine Chance in sich birgt. Und die Herolde des
freien, alleskönnerischen Marktes einmal so lange, pardon: den 
Schnabel halten, bis sich alternative Wirtschaftskonzepte wieder 
Gehör verschaffen. Klimainvestitionen, also Ausgaben für die 
Eindämmung der noch abwendbaren Klimafolgen und für erneuerbare 
Energien, wären vor 20 Jahren eine weitsichtige Alternative zu dem 
Kasino gewesen, dessen Ende wir jetzt erleben.

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