Wahlkampf 2009: Das Internet führt die Menschen wieder an die Politik heran - Kampagnenchefs kalkulieren Kontrollverluste ein
Hamburg (ots)
Das Internet kann Menschen mobilisieren, sich wieder mehr für die Demokratie zu engagieren. Ein moderner Wahlkampf bedeutet aber auch gleichzeitig für die Parteien, dass sie die Kontrolle über publizierte Inhalte verlieren. So lautet das Fazit einer Diskussionsveranstaltung der dpa-Tochter news aktuell gestern in Berlin. Knapp 350 Experten für politische Kommunikation verfolgten einen Disput der Wahlkampfchefs mehrerer Parteien. Titel des media coffees: "Superwahljahr 2009 - Heißt von Obama lernen, siegen lernen?" Die Moderation übernahm Romanus Otte aus der Chefredaktion der WELT-Gruppe.
Steffi Lemke, Wahlkampfstrategin und Politische Bundesgeschäftsführerin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zeigte sich gegenüber den Möglichkeiten des Internets sehr aufgeschlossen und schrieb dem Medium sogar die Fähigkeit zu, die grundsätzliche Einstellung der Bürger zur Politik positiv zu beeinflussen: "Wenn das Internet dazu beitragen kann, Menschen wieder an den demokratischen Prozess heranzuführen, dann ist das absolut begrüßenswert." BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind nach Amerika gereist, um sich dort direkt über die Methoden von Obama zu informieren. Fazit: "Glaubwürdigkeit ist das Elixier eines jeden Wahlkampfes." Eine ähnliche Position bezog FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz. Allerdings unterstrich er, dass sich dabei auch die Parteien selbst ändern müssen. "Die Parteien müssen bereit sein, sich ein Stück weit zu reformieren. Sie können nicht einfach abwarten, dass die Menschen zu den Parteien zurückkehren, die sich vorher abgewandt haben."
Dass moderner Wahlkampf via Internet auch einen Kontrollverlust für die Parteien bedeute, darauf verwies SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel. "Es ist nicht entscheidend, wie viel Buntes die Parteien ins Netz stellen, sondern der entscheidende Punkt ist, dass Obamas Wahlkampf zentral geplant und dezentral durchgeführt wurde. Das bedeutet natürlich in gewissem Maße einen Kontrollverlust, auf den sich die Parteien einlassen müssen." Nur etwa zehn Prozent der Wahlkampfinhalte des amtierenden US-Präsidenten seien auf Direktiven aus dem Headquarter zurückzuführen. "Die Frage ist, wie entsteht eigentlich eine so kreative Atmosphäre wie bei Obama?" Inwieweit Obamas Methoden auch in Deutschland funktionieren bleibt abzuwarten. Auch die anders gelagerte Medienszene könne dafür ausschlaggebend sein. "Wir haben im Unterschied zur USA hier in Deutschland nicht den Zustand, dass wesentliche Meinungsbildner in der Bloggerszene zu Hause sind. Vielleicht ist das eher was für 2013."
Politikberater Peter Radunski, Senior Advisor bei Publicis Consultants, warnte allerdings davor, das Internet als Allheilmittel im Wahlkampf zu betrachten. "Obama hat Briefe geschrieben, hat direct calls eingesetzt. Das Erstaunliche: Erst dabei hat er eine aktive Basis aufgebaut, die es vorher so eigentlich gar nicht gab." Außerdem verwies er darauf, dass dem Kandidaten der Demokraten außergewöhnliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Auch das sei eine Grundvoraussetzung, um erfolgreich zu sein, so Radunski weiter.
Dr. Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, vermochte nicht auf das allgemeine Loblied einzustimmen und verwies auf die große Bedeutung und die Objektivität der klassischen Medien im Wahlkampf: "Die Art und Weise der Nutzung des Internets beinhaltet auch gefährliche Tendenzen. Der übliche Flaschenhals war bei Obama nicht mehr so entscheidend - also TV und Zeitungen. Als Journalist muss man das kritisch sehen." Außerdem gab er zu bedenken, dass man via Internet eigentlich nur die Bevölkerungsschichten erreicht, die das Medium sowieso schon nutzen. Trotz aller Modernität komme es aber natürlich viel mehr auf die handelnde Person an, ob ein Wahlkampf erfolgreich ist. "Die heutigen Spitzenkandidaten der beiden größten deutschen Parteien sind wahrscheinlich nicht in der Lage, eine echte Bewegung wie bei Obama loszutreten."
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