Pianist Alfred Brendel: Ich höre aus freien Stücken auf
Hamburg (ots)
Der österreichische Jahrhundertpianist Alfred Brendel hat sich zum ersten Mal über die Gründe für das bevorstehende Ende seiner Konzertkarriere geäußert. "Ich hatte immer das Gefühl, ich spiele aus freien Stücken. Und jetzt höre ich aus freien Stücken auf", sagt Brendel der ZEIT. Der 77-Jährige fügt hinzu: "Es sind keine physischen Gründe." Allerdings räumt er ein, körperlich anstrengende Stücke wie Beethovens Hammerklaviersonate nicht mehr zu spielen. "Ich habe mir in den letzten Jahren sehr genau ausgesucht, was ich spiele, und die athletischen Stücke beiseitegelegt", sagt Brendel.
Brendel, der am 18. Dezember in Wien zum letzten Mal als Pianist auf der Bühne stehen wird, will danach nur noch bei Vorträgen, Lesungen und Gesprächen öffentlich in Erscheinung treten. Er sei kein Maniac und von Konzerten nicht wie von einer Droge abhängig, sagt der Pianist, obwohl er bis auf den heutigen Tag in jedem Konzert etwas dazulerne: "Darauf kommt es an. Dass man die Werke nicht lernt und dann abhakt und sich sagt: Das Problem habe ich gelöst, jetzt kommt das nächste Stück dran. Bei den Meisterwerken geht es darum, mit ihnen zu leben. In Abständen muss man auf sie zurückkommen und eine Kette von Erfahrungen aufbauen. Wirkliche Meisterwerke sind unerschöpflich und ewig sprudelnde Energiequellen für den Spieler. Das ist ja das Wunderbare, dass man mit großer Musik sein Leben verbringen kann - und es bleibt immer spannend!"
Den Abschied von der Konzertbühne hätte er lieber anders gestaltet: "Am liebsten hätte ich es geheim gehalten und irgendwann gesagt: So, das war das letzte Konzert, jetzt ist Schluss. Aber das ließ sich nicht realisieren. So muss ich jetzt von einem Abschiedskonzert zum anderen reisen. Ich freue mich natürlich, wenn das Publikum ein bisschen jammert."
Brendel kritisiert einen Hang zur Selbstdarstellung bei jungen Pianisten, aber als "Letzter" einer Klavier-Ära sieht er sich nicht: "Es gibt sehr wohl junge Musiker, die eine ähnliche Vorstellung von Musik haben wie ich." Auf die Frage, was er sich am Ende seiner Karriere wünsche, sagt er: "Dass niemand mehr in einem Konzert hustet!"
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Das komplette ZEIT-Interview der ZEIT Nr. 19 vom 30. April 2008
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