Schwäbische Zeitung: Klare Kante für die Demokratie - Leitartikel zu Gaggenau
Ravensburg (ots)
Es ist ein Dilemma, in dem die Bundesregierung steckt. Wie umgehen mit den wahlkämpfenden Ministern, die Erdogan nach Deutschland schickt? Wenn sie für das Präsidialsystem werben dürfen, macht sich Deutschland zum Steigbügelhalter für einen Systemwechsel, der Erdogan so ziemlich alle Staatsmacht in die Hände legt und die Demokratie beschneidet. Verhindert die Politik derlei Auftritte, setzt sie sich dem Vorwurf aus, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Da es auf die Frage also keine einfache Antwort gibt, braucht es eine mutige. Und die muss lauten: Angela Merkel muss klare Kante für die Demokratie zeigen.
Zu lange schon überlässt die Politik die Entscheidung der jeweiligen Stadtverwaltung, die über eine Versammlung in ihrem Ort entscheiden muss. Diese behilft sich dann, wie nun im Fall Gaggenau, mit ordnungsrechtlichen Argumenten. Es wird Zeit, politisch zu handeln.
Wie das gehen könnte, hat jüngst der österreichische Außenminister Sebastian Kurz gezeigt. Er hat mögliche Wahlkampfauftritte von Erdogan in Österreich als "unerwünscht" bezeichnet. Die Vorwürfe aus Ankara ließen nicht lang auf sich warten: Kurz sei "islamophob" und "rassistisch", hieß es.
Es geht auch subtiler. Merkel und ihr Außenminister Gabriel (SPD) sollten auf diplomatischem Weg die klare Botschaft Richtung türkischer Regierung schicken, dass türkischer Wahlkampf auf deutschem Boden nicht willkommen ist. Kommt diese Botschaft nicht an, sollte Merkel es so deutlich öffentlich sagen wie ihr Vize Thomas Strobl.
Sorgen um negative Folgen, etwa in Bezug auf den Flüchtlingsdeal, sollten sie nicht abschrecken. Von einer funktionierenden deutsch-türkischen Partnerschaft profitieren beide Länder - das weiß auch Präsident Erdogan. Unter anderem in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn der ökonomische Aufschwung in der Türkei, für den Erdogan am meisten verehrt wird, stockt zurzeit immer mehr. Er braucht die Investitionen aus der EU und aus Deutschland. Merkel darf also ruhig mutiger Paroli bieten.
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