"Stressfalle" Gymnasium?
Binnendifferenzierung kann Überforderung vorbeugen
Kirchberg (ots)
Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu und der Übertritt auf die weiterführende Schule rückt rasch näher. Trotzdem ist in vielen Familien noch nicht entschieden, wie die weitere Schulkarriere verlaufen wird. Wer sich gegen das Gymnasium entscheidet, handelt dabei nicht immer zum Wohl des Kindes, wie Dr. Alexander-Maximilian Goersch, Schulpsychologe der Schloss-Schule Kirchberg erklärt.
"Keine andere Schulform führt in Deutschland zu einer derart guten Entwicklung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Kindes wie das Gymnasium", so Goersch. "Der Intelligenzquotient von Gymnasiasten steigt zwischen der 7. und der 10. Klasse um durchschnittlich 11 Prozentpunkte stärker an als der von Realschülern. Das bedeutet: Der Gymnasialbesuch wirkt - entwicklungspsychologisch betrachtet - selbstverstärkend, weil das Umfeld in einer dafür besonders günstigen Phase aktiv dazu beiträgt, dass sich die Jugendlichen positiv entwickeln. Schüler, für die ein zeitlich verschobener schulischer Aufstieg zu Fachhochschulreife oder Abitur ins Auge gefasst wird, können von diesen positiven Effekten kaum profitieren."
Trotzdem empfiehlt Goersch nicht jedem Kind den Besuch des Gymnasiums. Falls tatsächlich eine Überforderung zu erwarten ist, "sollte diese nicht auf die leichte Schulter genommen werden", so Goersch. Der Knackpunkt liegt für ihn darin, dass in Deutschland meistens zu wenig differenziert auf die Kinder und Jugendlichen eingegangen werden kann. "Durch die klassische Dreiteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium wird auch das Leistungsniveau der Schüler in sehr grobe Klassen eingeteilt - tatsächlich ist die Leistung aber über die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten verteilt und müsste auch dementsprechend individuell gefördert werden."
Viele Schulen können ihre Förderung über die klassische Schultypen-Einteilung hinaus aber nur in sehr begrenztem Umfang an die spezifischen Bedürfnisse des Einzelschülers anpassen. Genau darin liegt, so Goersch, aber der Erfolgsschlüssel: Wer seine Schüler als Einzelpersonen mit ganz unterschiedlichen Potenzialen und Fähigkeiten wahrnimmt und fördert, kann auch solchen Schülern den Weg zum Abitur ebnen, die anderswo mit hoher Wahrscheinlichkeit daran scheitern würden. Und das, ohne dass die Schule deshalb zur "Stressfalle" werden muss.
"Binnendifferenzierung" lautet, so Goersch, das Zauberwort für diese anspruchsvolle Herangehensweise - und sie setzt an einer Schule vor allem drei Dinge voraus: Erstens die individuellen Merkmale der Schülerinnen und Schüler durch die intensive Auseinandersetzung mit ihnen zu erkennen. Zweitens daraus individuelle Förderpläne und -strukturen abzuleiten. Und drittens die Förderungen mit qualifiziertem Personal im Klassenverband aber auch außerhalb zu realisieren. Eine problematische Überforderung, so der Schulpsychologe, entwickelt sich erst dann, wenn Belastungen nicht mit entsprechenden Ressourcen kompensiert werden können. Verständlich, so Goersch, dass dies einer klassischen Halbtagesschule deutlich schwerer fällt, als einem Internatsgymnasium wie der Schloss-Schule Kirchberg.
Das Internat bietet für die Entwicklung der wichtigen Kompensations-Ressourcen außerordentliche Reserven. Kleine Klassen, individuelle Lernpläne, gezielte Hausaufgabenbetreuung, spezifischer Förderunterricht und differenzierte Lerngruppen sind dabei die eine wichtige Seite der Medaille. Die andere besteht im besonderen Verständnis des Einzelschülers, aber auch in den vielfältigen Arbeits- und Freizeitgruppen-Angeboten und im intensiven Austausch mit den Betreuern und den anderen Schülern. Positiv tragen dazu bei einem Internat wie der Schloss-Schule auch das interkulturelle Miteinander und die Weltoffenheit bei.
"Eine gymnasiale Schulbildung mit abschließendem Abitur kann manche Schüler in der Tat überfordern", betont Goersch, "aber unter besonders positiven Rahmenbedingungen sind wesentlich mehr Kinder und Jugendliche als allgemein angenommen in der Lage, diese Hürde zu meistern und von den besonderen Chancen des Gymnasiums zur Wissens-, Charakter- und Sozialverhaltensbildung zu profitieren. Es ist schade", so der Psychologe abschließend, "beobachten zu müssen, dass vielen Kindern und Jugendlichen diese einzigartige Möglichkeit aus einer oft unbegründeten Angst vor Überforderung heraus verwehrt wird."
Schloss-Schule Kirchberg:
Die 1914 gegründete Schloss-Schule Kirchberg zählt zu den bekanntesten Internatsgymnasien Deutschlands.
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