Schwangerschaftsabbruch: Empfehlungen für eine Gesetzesnovellierung, PI Nr. 40/2024
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Schwangerschaftsabbruch: Empfehlungen für eine Gesetzesnovellierung
Für eine Gesetzesnovellierung des Schwangerschaftsabbruchs: Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin legt am 15. April 2024 ihre Empfehlungen vor. Kommissionsmitglied Liane Wörner (Universität Konstanz) ist wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1 (Themenbereich Schwangerschaftsabbruch) der Kommission und kommentiert die Ergebnisse.
Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn er unter definierten Bedingungen straffrei bleibt. Die rechtliche Regelung nach Paragraph 218a des Strafgesetzbuches wird kontrovers diskutiert. Um Möglichkeiten einer Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches zu prüfen, hat die Bundesregierung im März 2023 die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einberufen. Sie bestand aus zwei Arbeitsgruppen, die zu den Themenbereichen der Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches (AG 1) und den Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der Leihmutterschaft (AG 2) arbeiteten. Nach einjähriger Arbeit legt die Kommission nun ihre Ergebnisse vor: Sie zeigt darin gesetzgeberische Gestaltungsspielräume auf und gibt Empfehlungen. Die Kommission war interdisziplinär zusammengesetzt und vereinte in der AG 1 zum Schwangerschaftsabbruch Expertise aus Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Medizin.
„Die einstimmig getroffenen Empfehlungen spiegeln das gemeinsame Ergebnis unserer Arbeit wider, das auf ernsthafter, sachlicher Diskussion basiert und das die Komplexität dieses gesellschaftspolitisch bedeutenden Themas berücksichtigt“, sagt Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), Rechtswissenschaftlerin an der Universität Konstanz und wissenschaftliche Koordinatorin der AG 1 (Themenbereich Schwangerschaftsabbruch) der Kommission. „Wir haben den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfassend geprüft und zeigen einen Weg auf, der alle berührten Rechte und Interessen berücksichtigt und für Transparenz und Rechtssicherheit sorgt. Die Entscheidung liegt nun beim Gesetzgeber. Er sollte die fundierten Empfehlungen in die parlamentarische Debatte einbringen, um in einer sachlichen und respektvollen gesellschaftlichen Diskussion über dieses wichtige Thema eine neue Gesetzgebung auf den Weg zu bringen“, so Wörner.
Die AG 1 der Kommission hatte die Aufgabe, ausgehend von den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch und unter Berücksichtigung gewandelter rechtlicher und tatsächlicher Verhältnisse sowie gesellschaftlicher Diskurse die Frage zu beantworten, ob und wie eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs erfolgen kann. Die Wissenschaftler*innen haben bei ihrer Arbeit ebenfalls die Themen Rechtssicherheit und Transparenz für die Schwangere, aber auch für die behandelnden Ärzt*innen in den Blick genommen.
„Die AG 1 hat durch ihre Analyse und Diskussion einen Perspektivwechsel erreicht: den Fokus mehr auf die Schwangere zu legen und das Recht verstärkt von der Schwangeren ausgehend zu denken. Die Überlegungen unseres Teils der Kommission gründen auf der Erkenntnis, dass Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft tiefgreifende und unumkehrbare Veränderungen der Verfasstheit einer Frau bewirken, und dass zugleich der Schutz des ungeborenen Lebens nur gemeinsam mit der Schwangeren möglich ist, nicht gegen ihren Willen“, erläutert Wörner.
Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe 1 der Kommission
Kernpunkte des Berichts der Arbeitsgruppe 1 der Kommission sind folgende Empfehlungen an die Gesetzgebung:
- In der frühen Schwangerschaftsphase (bis zur zwölften Schwangerschaftswoche) sollte ein Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos sein.
- In der späten Schwangerschaftsphase, ab eigenständiger Lebensfähigkeit des Fetus, sollte ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig sein. Ausnahmen sind dann vorzusehen, wenn der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft unzumutbar ist. Das ist insbesondere bei medizinischen Gründen der Fall.
- In der mittleren Schwangerschaftsphase besteht ein Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber, bis zu welchem Zeitpunkt er einen Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlaubt (Rechtmäßigkeit) und ab welchem Zeitpunkt er einen Schwangerschaftsabbruch nicht mehr erlaubt (Rechtswidrigkeit). Entscheidet der Gesetzgeber für Rechtswidrigkeit, sind auch hier Ausnahmen wie in der Spätphase vorzusehen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt eine Verlängerung der Frist von zwölf Wochen seit der Empfängnis bei kriminologischer Indikation.
- Zur Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften empfehlen die Expert*innen verstärkte Aufklärungs- und Präventionsarbeit, insbesondere einen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln auch nach dem 22. Lebensjahr.
- Beratung (mit oder ohne Wartefrist, verpflichtend oder freiwillig) muss ergebnisoffen erfolgen, darf nicht zu Verzögerungen führen und nicht dem Ziel dienen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu bewegen oder ihr bewusst zu machen, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommt.
- Abbrüche gegen den Willen der Schwangeren, unsichere Abbrüche, die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch sowie die Nötigung, ihn zu unterlassen, sind kriminalstrafrechtlich zu regeln. Die Regelungslücke zum Schutz des ungeborenen Lebens vor Verletzungen gegen den Willen der Schwangeren ist zu schließen.
Faktenübersicht:
- Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin wurde zum 31. März 2023 gemeinsam von Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann, Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach einberufen.
- Die Kommission umfasste 18 Expert*innen aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Rechtswissenschaften.
- Die Kommission arbeitete zu zwei Themenbereichen:
- Arbeitsgruppe 1: Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches
- Arbeitsgruppe 2: Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der Leihmutterschaft
- Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie sowie Direktorin des Zentrums für Human | Data | Society der Universität Konstanz. Sie ist die wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1 der Kommission.
- Über die Kommission und ihre beiden Arbeitsgruppen: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/sachverstaendigenkommission-nimmt-arbeit-auf-223464
- Die Ergebnisse der Kommission sind veröffentlicht unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/kommissionsbericht-reproduktive-selbstbestimmung-pm-15-04-24.html
Hinweis an die Redaktionen:
Ein Foto kann im Folgenden heruntergeladen werden: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2023/kommission_mit_expertenbeteiligung.jpg
Bildunterschrift: Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), wissenschaftliche Koordinatorin der Arbeitsgruppe 1 (Themenbereich Schwangerschaftsabbruch) der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.
Bild: Universität Konstanz, Inka Reiter
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing Telefon: + 49 7531 88-3603 E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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