24 Stunden Arbeit - Der systematische Betrug an der häuslichen Pflege
Mainz (ots)
Im Juni wurde die lang überfällige Pflegereform beschlossen. Seitdem hagelt es Kritik von vielen Seiten. Knapp 75 Prozent der Pflegepersonen in Deutschland wurden dabei völlig vergessen: pflegende Angehörige. Deren Ausbeutung verlagert sich stellenweise auf günstige 24-Stunden-Pflegekräfte aus dem Ausland. Schuld daran ist das deutsche Pflegesystem.
Sei es bei der Corona-Politik, der Vergabe von finanziellen Unterstützungen oder der Anerkennung für ihre Arbeit; pflegende Angehörige werden von der Gesellschaft und der Politik prinzipiell nicht mitgedacht. Und das, obwohl sie knapp 75 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland versorgen - ein Skandal. Die systematische Benachteiligung und der Betrug um Entlastungsleistungen erschweren die häusliche Pflege enorm.
Viele Angehörige sehen sich daher gezwungen, auf Hilfe aus dem Ausland zurückzugreifen - die so genannte 24-Stunden-Pflege. Aufgrund der mangelnden Bezuschussung durch die Pflegekassen und die generell hohe finanzielle Belastung der pflegenden Angehörigen fällt die Entlohnung für die 24-Stunden-Pflegekräfte jedoch mitunter sehr niedrig aus. Die Ausbeutung in der Pflege verschiebt sich so von den Angehörigen auf die ausländischen Betreuungskräfte. Wo liegen die Fehler im deutschen Pflegesystem, die diesen Schritt für Familien nötig machen?
Ignoranz statt Anerkennung in der neuen Pflegereform
Alle sind sich einig: Das deutsche Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. Und doch liest sich die aktuelle Version der Pflegereform, als würde es in Deutschland keine häusliche Pflege geben. Ursprünglich geplante Erhöhungen des Pflegegelds oder des Budgets für Tagespflege tauchen mittlerweile nicht mehr darin auf. Auch die Einführung des Entlastungsbudgets wurde wieder gestrichen. Einzig eine Erhöhung der Leistungen zur Finanzierung von Pflegediensten für die medizinische Versorgung wird kommen - als Ausgleich der gestiegenen Kosten.
Antrag abgelehnt - das System Pflegekasse
Auch systematische Ungerechtigkeit ist in der häuslichen Pflege ein bekanntes Phänomen. Denn neben den alltäglichen Belastungen durch Care-Arbeit sehen sich pflegende Angehörige auch mit wahren bürokratischen Kämpfen konfrontiert. "Regelmäßig melden sich Betroffene wegen abgelehnter Anträge bei unserer Beratung. Wenn die Ablehnung auch noch unrechtmäßig war, ist ihnen das oft nicht mal bewusst", schildert Johannes Haas, Geschäftsführer beim Verbund Pflegehilfe, die prekäre Lage.
Und auch im Gespräch mit Markus Karpinski, Anwalt für Pflegerecht, wird deutlich, dass eine Ablehnung nicht immer bedeutet, dass kein Anspruch besteht: "Das ist ein Weg Geld einzusparen, wenn die Pflegekasse Anträge ablehnt und dann wartet, bis der Neuantrag kommt. [...] Das hat System, das ist kein Zufall", beschreibt Karpinski seine Erfahrungen mit dem Vorgehen der Kassen.
Ausweg 24-Stunden-Pflege - Verlagerung der Ausbeutung
Diese Systemfehler sorgen für unzureichende finanzielle Mittel, mangelhafte Entlastung und zeitaufwändige Prozesse. Letztendlich sehen sich viele Familien dazu gezwungen, die Versorgung ihrer Angehörigen ohne Unterstützung des Pflegesystems sicherzustellen. Der Mangel an gesetzlichen Regelungen für die 24-Stunden-Pflege bedeutet dann oft eine Verlagerung der Ausbeutung von den Familien auf die ausländischen Betreuungskräfte. Damit dieser Teufelskreis ein Ende findet, sollte die Bundesregierung ihre Ideen für die geplante Pflegereform überdenken und für einen Systemwechsel sorgen, der vor allem Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen wirklich zugutekommt.
Verbund Pflegehilfe
Der Verbund Pflegehilfe berät seit 2008 Pflegebedürftige und deren Angehörige kostenlos zu den verschiedenen Angeboten für ein selbstbestimmtes Leben im Alter. Mit 130 Beraterinnen und Beratern und 600.000 Gesprächen allein im Jahr 2020 betreibt er die größte Pflegeberatung Deutschlands.
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