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Es ist Zeit nachzudenken
Europäische NGOs fordern eine Krisenbewältigung, die auf sozialen Ausgleich und Entwicklung setzt

Frankfurt (ots)

In einem offenen Brief an die
Parlamentsabgeordneten der NATO-Länder warnen europäische
Entwicklungshilfe-Organisationen vor einer "Demonstration brutaler
militärischer Stärke" als Reaktion auf die Terrorangriffe in den USA.
In dem von der Frankfurter Hilfsorganisation medico international
(Friedensnobelpreis 1997) initiierten Brief heißt es:" Wir
appellieren an Sie, gerade unter dem Eindruck der gegenwärtigen Krise
nach Verständnis und Versöhnung zu suchen statt nach Vergeltung."
Terror dürfe nicht mit Terror und mehr Gewalt beantwortet werden,
stattdessen sei es notwendig, "die vielen langjährigen Konflikte, die
in der Welt herrschen, ernsthaft zu bearbeiten und sich mit Nachdruck
für sozialen Ausgleich und Entwicklung einzusetzen". Die
Erstunterzeichner ausDeutschland, Italien, Spanien und Norwegen
fordern die Nato-Länder zur Zurückhaltung auf: " Vielmehr muss uns
die Antwort aus den Schützengräben hinausführen."
Erstunterzeichner: medico international (Deutschland), Comitato
Internationale dello Sviluppo dei Populi (Italien), Solidaridad
Internacional (Spanien), Norsk Folkehjelp (Norwegen), Mines Advisory
Group (Großbritannien).
Es folgt der gesamte Text des offenen Briefs:
Offener Brief an die Parlamentsabgeordneten der NATO-Länder
Es ist Zeit innezuhalten und nachzudenken
Die Welt ist durch die terroristischen Attacken auf New York und
Washington erschüttert. Nach dem Schock und dem Entsetzen hat sich
bei uns ein Gefühl der Verwundbarkeit, der Unsicherheit und der Angst
ausgebreitet. Solidarität und Mitleid mit den Opfern, ihren Familien
und Freunden sind Emotionen, die uns alle bewegen. Wir vermögen uns
vorzustellen, welche enorme Verantwortung nun auf Ihren Schultern
liegt.
Aus diesem Grund wollen wir Sie ermutigen, sich nun die Zeit zu
nehmen, um über die Ereignisse vor allem aber über ihre Tragweite
nachzudenken.
Sicher ist es notwendig, Zeichen der Solidarität und
Geschlossenheit zu setzten. Aber sind die Aktivitäten, die jetzt in
Betracht gezogen werden, wirklich bis zum Ende durchdacht, ist
erwogen, wohin sie führen und welchen Kreislauf weiterer Ereignisse,
welche Gefühle und Gegenreaktionen in diesem Prozeß ausgelöst werden
könnten? Jede weitere Eskalation der Gewalt muss vermieden werden,
weil sie nur den Hass verstärken würde, den wir bereits jetzt
beklagen müssen.
Das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung offenbart eine tiefe
emotionale Betroffenheit. Es kann jedoch eine irreversible Dynamik in
Gang setzen, aus der möglicherweise noch schrecklichere Entwicklungen
entstehen. Die eigene Verwundbarkeit, das Gefühl, persönlich und
kollektiv mißhandelt worden zu sein, darf nicht in eine Demonstration
brutaler militärischer Stärke, Gewalt und Gegengewalt umschlagen.
Zumal sich vermeintliche Stärke rasch als Schwäche herausstellen
kann.
Wir appellieren an Sie als europäische Politiker alles zu tun, um
sich von diese Gefühlen nicht überwältigen zu lassen. Wir bitten Sie,
mit der gebotenen Sorgfalt die Mittel zu überprüfen, die Ihre
Regierungen und Institutionen gewählt haben, um auf den Terrorismus
zu reagieren.
Zu einer nachhaltigen Bewältigung, die tatsächlich den Kreislauf
der Gewalt durchbricht, gehört zuallererst, die Ursachen der Gewalt
zu verstehen. Lassen Sie uns aufmerksam die verschiedenen Analysen
und Meinungen anhören, wie schwer das auch immer fallen möge. Nehmen
wir auch die Stimmen von Menschen zur Kenntnis, die am Rande der
Welt-Gesellschaft leben. Denken Sie an die Not von Millionen von
Menschen, die von Krieg betroffen sind und in extremer Armut leben.
Lassen Sie uns endlich alles unternehmen, um eine sichere und
gerechte Welt aufzubauen. Autoritäre Lösungen mögen zu raschen
Resultaten führen, nachhaltig aber sind sie nicht. Kriege sind kein
Mittel, das man rasch zur Hand nimmt, um es nach Gebrauch einfach
wieder zurückzulegen: Kriege transformieren Gesellschaften
tiefgreifend und dauerhaft.
Wir appellieren an Sie, gerade unter dem Eindruck der
gegenwärtigen Krise nach Verständnis und Versöhnung zu suchen, statt
nach Vergeltung. Lassen Sie es nicht zu, daß Terror mit Terror und
mehr Gewalt beantwortet wird, wodurch nur weitere Verwerfung,
Spaltung und Polarisation entstehen. Lassen Sie uns nach Dialog  und
Verständigung suchen: auf der Ebene zivilgesellschaftlicher
Begegnungen ebenso wie auf multilateraler und zwischenstaatlicher
Ebene. Von herausragender Bedeutung ist dabei, die vorhandenen
internationalen Institutionen, das Völkerrecht und internationalen
Konventionen zu respektieren und weiterzuentwickeln. Dringend
notwendig ist es, die vielen langjährigen Konflikte, die in der Welt
herrschen, ernsthaft zu bearbeiten und sich mit Nachdruck für
sozialen Ausgleich und Entwicklung einzusetzen. Das, was in Haß und
Ignoranz auseinandergebrochen ist, braucht viele Jahre um in
Vertrauen und Zusammenleben wieder zueinander zurückfinden zu können.
Wir appellieren an Sie, all Ihr Handeln vom Völkerrecht und dem
Grundsatz der Unteilbarkeit der Menschenrechte leiten zu lassen: Alle
Menschen haben das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit.
Gemeinsam rufen wir die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten
zur Zurückhaltung auf. Die Antwort auf die Angriffe dürfen nicht
weitere Menschenleben fordern. Vielmehr muss uns die Antwort aus den
Schützengräben herausführen.
Wir danken Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben, unsere
Überlegungen zur Kenntnis zu nehmen, und wünschen Ihnen die nötige
Stärke, um Ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Frankfurt, Rom, Madrid, Oslo, Manchester
medico international, Deutschland
   Comitato Internazionale dello Sviluppo dei Popoli, Italien
   Solidaridad Internacional, Spanien
   Norsk Folkehjelp, Norwegen 
   Mines Advisory Group, Großbritannien
Weitere Unterzeichner in Deutschland sind bislang:
Missionszentrale der Franziskaner; INKOTA-Netzwerk; Werkstatt
Ökonomie (Heidelberg); medica mundiale; Indien-Hilfe
Der vorliegende offene Brief an die Abgeordneten der Parlamente
wird in diesen Tagen in einigen Ländern Europas von den dortigen
Plattformen entwicklungspolitischer NGOs beraten; er ist offen für
weitere Unterzeichner, auch für Einzelpersonen.
Wenden Sie sich an: 
medico international e.V.
Obermainanlage 7
D-60314 Frankfurt am Main 
info@medico.de
Telefon: 069 944 380
Rückfragen bitte an :
Katja Maurer (Presseverantwortliche):
0171 122 12 61
069 944 38 29

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