Abgasskandal: Bundesgerichtshof äußert sich erstmals zu Thermofenster
Daimler in der Defensive
Berlin (ots)
Der Bundesgerichtshof (BGH) - Deutschlands oberstes Zivilgericht - hat sich mit einem Beschluss im Abgasskandal zum ersten Mal zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung, dem sog. Thermofenster, in Dieselmotoren der Daimler AG geäußert (Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19). Laut der am 26. Januar 2021 veröffentlichten Pressemitteilung des BGH verweist das Gericht das Verfahren an die Vorinstanz - das Oberlandesgericht (OLG) Köln - zurück. Es sei zwar zutreffend, dass die Nutzung des Thermofensters in Dieselmotoren allein noch keinen Anspruch auf Entschädigung rechtfertige. Die Richter hätten sich aber genauer mit dem klägerischen Vortrag befassen müssen, dass die Daimler AG dem Kraftfahrt-Bundesamt gegenüber diese Funktion verschleiert habe.
Unstreitig ist, dass im Fahrzeug des Klägers, einem Mercedes-Benz C 220 CDI mit dem Dieselmotor OM 651 der Abgasnorm Euro 5, ein sog. Thermofenster verwendet wird. Der klagende Verbraucher, vertreten von der Rechtsanwaltskanzlei VON RUEDEN, geht davon aus, dass sich diese Abschalteinrichtung bei niedrigen Temperaturen negativ auf die Abgasreinigung auswirkt. Da aufgrund dessen die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte außerhalb der Bedingungen des Prüfstands nicht zuverlässig eingehalten werden, erhob der Verbraucher Klage auf Schadensersatz für das Fahrzeug, das er zudem an die Daimler AG zurückgeben möchte.
Das OLG Köln sah allein in der Verwendung des Thermofensters keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers beschäftigte sich nun der BGH mit der Frage nach der Schädigung des Verbrauchers. Zwar entschied der BGH in dem Beschluss, dass der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems allein noch keinen Schadenersatzanspruch rechtfertigt, doch: Die Vorinstanz - das OLG Köln - hätte sich intensiver mit weiteren Anhaltspunkten dafür auseinandersetzen müssen, dass der Daimler AG die Unzulässigkeit dieser Funktion bewusst war. Der Kläger und die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN hatten auf unzutreffende Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems im Typgenehmigungsverfahren hingewiesen. Das habe das OLG nicht ausreichend berücksichtigt und dadurch den verfassungsmäßig garantierten Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Nun muss sich ein anderer Senat des OLG Köln erneut mit dem Fall beschäftigen.
Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erging ohne vorige mündliche Verhandlung oder Hinweise des Gerichts (§ 544 Abs. 9 ZPO). Möglicherweise hat der BGH dieses Vorgehen gewählt, um zu verhindern, dass das Verfahren kurz vor der mündlichen Verhandlung beendet wird, und um so endlich seine Einschätzung zu dieser umstrittenen Rechtsfrage mitteilen zu können.
"Der Bundesgerichtshof ist dem Vorgehen einiger Oberlandesgerichte entgegengetreten, die Ansprüche wegen Verwendung des Thermofensters pauschal zurückgewiesen haben. Das ist nach dieser Entscheidung nicht mehr haltbar und die Instanzgerichte müssen sich genauer mit dem konkreten Vortrag der Kläger zu unzureichenden Angaben im Genehmigungsverfahren auseinandersetzen. Offenbar hält der BGH diesen Aspekt für geeignet, einen hinreichenden Anhaltspunkt für ein sittenwidriges und vorsätzliches Verhalten des Herstellers zu begründen. Wir gehen davon aus, dass die Daimler AG in den Verfahren nun ihrerseits mehr liefern muss. Das ist positiv für die Kläger - auch in Verfahren gegen andere Hersteller", sagt Rechtsanwalt Sebastian Steffens, der das Verfahren für die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN federführend betreut.
Es ist das erste Mal, dass die Daimler AG im Abgasskandal vor dem BGH steht und dass sich der Bundesgerichtshof mit dem Thermofenster des Stuttgarter Autobauers beschäftigt. Bislang hatte der BGH bereits verbraucherfreundlich im VW-Dieselskandal entschieden, als er einem VW-Fahrer im Mai 2020 den Anspruch auf Schadensersatz bestätigte. Der Beschluss im Volltext zum aktuellen Verfahren gegen die Daimler AG steht noch aus.
Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN vertritt Dieselfahrer im Abgasskandal gegen die Autohersteller. Die Kanzlei mit Sitz in Berlin betreut bereits mehr als 12.000 Mandanten und führt im Dieselskandal Prozesse vor deutschen Land- und Oberlandesgerichten sowie vor dem Bundesgerichtshof. Sie erstritt im Abgasskandal zudem das erste verbraucherfreundliche Urteil gegen die Daimler AG vor einem Oberlandesgericht.
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