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The Plastics Tax Paradox
Fragen über Fragen zur geplanten EU-Kunststoff-"Steuer"
Umweltpolitisches Lenkungsinstrument oder "Kunstgriff" gegen Haushaltslöcher?

Hamburg (ots)

Abgabe würde weder Haushalt noch Umwelt nützen und stattdessen Kreislaufwirtschaft wichtige Mittel entziehen

Die von der EU ins Gespräch gebrachte Einführung einer europaweiten Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffverpackungen - die sogenannte "Plastiksteuer" - findet nur wenig positive Resonanz. Vonseiten der Experten kommt scharfe Kritik: Nicht zielführend, weder für den Umweltschutz noch zur Haushaltskonsolidierung, heißt es. Dagegen sehen Umweltverbände in der möglichen neuen Abgabe eine Chance, "Recycling zu erhöhen und Abfallvermeidungsprogramme zu unterstützen".

Fachleute bemängeln an einer Kunststoffabgabe, dass ihre fehlende Zweckbindung einer Transformation zur Kreislaufwirtschaft dringend benötigte Investitionsmittel entziehe und damit dem Umwelt- und Klimaschutz mehr schade als nütze.

Der ehemalige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte im Januar 2018 zum ersten Mal die Idee einer Abgabe auf Kunststoffverpackungen als neue Einnahmequelle für die EU ins Spiel gebracht. Er begründete seinen Vorschlag damals damit, dass zu viele Kunststoffe produziert und genutzt würden, die trotz Recycling auf dem Müll landeten.

Nun läuft am 31. Dezember 2020 der aktuelle langfristige EU-Haushalt aus. Auf einen neuen langfristigen EU-Haushalt für den nächsten Finanzierungszeitraum von 2021 bis 2027 konnten sich die Mitgliedsstaaten bislang noch nicht einigen. Daher kam es diesbezüglich auch noch nicht zu Verhandlungen zwischen Europa-Parlament und -Rat. Beim Sondergipfel vom 20. bis 21. Februar dieses Jahres zum langfristigen EU-Haushalt war beim Europäischen Rat ebenfalls keine Einigung in Sicht. Doch während die EU-Mitglieder noch um Details und Pfründe feilschen, macht eine neue Idee zur Mit-Finanzierung des künftigen EU-Haushalts die Runde: eine EU-Abgabe auf nicht wiederverwertete Kunststoffverpackungen. Das sieht ein Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel vor. Demnach soll pro Kilogramm nicht-recyceltem Verpackungskunststoff eine Abgabe von 80 Cent fällig werden.

An der Stelle werfen Branchenkenner gleich wesentliche Fragen zur Ausgestaltung der angedachten Abgabe auf - etwa die, wie denn mit recycelbaren Kunststoffverpackungen verfahren werden soll, die nur nicht wiederverwertet werden? Wird für diese Produkte ebenfalls die Abgabe fällig? Zu solchen und weiteren Detailfragen erwarten Beobachter - nicht nur in Brüssel - noch lebhafte Diskussionen, auch mit der betroffenen Industrie. Vor diesem Hintergrund sehen Insider in Brüssel die angedachte "Plastiksteuer" mangels absehbarem Konsens - insbesondere zwischen den EU-Mitgliedsstaaten - noch in sehr weiter Ferne.

Dennoch, die EU-Kommission erhofft sich von einer solchen Abgabe zusätzliche Einkünfte in Höhe von wenigstens 6,6 Milliarden Euro für den Langzeithaushalt. Wie aus Michels Umfeld zu erfahren ist, spekulieren die Befürworter der neuen Kunststoffsteuer, dass sie zusammen mit möglichen Überschüssen aus dem europäischen Emissionshandel (ETS) in der siebenjährigen Finanzierungsperiode 14 bis 15 Milliarden Euro in die Brüsseler Kassen spült. Damit könnte das Loch gestopft werden, das der Brexit und die umfangreichen EU-Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in den EU-Haushalt reißen, lautet das Kalkül. Doch im Umfeld der Präsentation des EU-Krisenhaushalts in Billionenhöhe durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel war bereits zu hören, dass die Pläne, die Ausgaben mit Abgaben auf Kunststoff, CO2 und/oder digitale Dienste gegenzufinanzieren, als unrealistisch eingestuft werden. Zum einen, weil es der Kommission laut EU-Recht gar nicht erlaubt ist, selbst Steuern einzuführen. Die EU ist auch an der Steuererhebung und der Festsetzung von Steuersätzen nicht direkt beteiligt. Über die Höhe der von den einzelnen Bürgern gezahlten Steuern entscheiden deren jeweilige nationale Regierungen, die ebenfalls beschließen, wofür die eingenommenen Steuergelder ausgegeben werden, wie die EU selbst erläutert.

Somit wäre bei einer "Plastiksteuer" deren Umsetzung in nationales Recht erforderlich - wie etwa bei der Energiesteuer. Das Aufkommen flösse dann jedoch dem Bundeshaushalt zu und nicht der EU. Die EU kann lediglich die Steuervorschriften und Steuersätze in den Mitgliedsländern koordinieren, um zu verhindern, dass sich nationale Unterschiede nachteilig auf den grenzüberschreitenden Handel auswirken und den Wettbewerb verzerren können. Wie bei der deutschen Energiesteuer, bei der es sich um eine Verbrauchsteuer handelt, könnte die Bundesregierung auch bei Verpackungen unterschiedliche Steuersätze einführen, zum Beispiel abhängig von der Umweltbelastung, die von einer Verpackung ausgeht.

Darüber hinaus zweifeln politische Beobachter grundsätzlich daran, dass sich signifikante Steuern auf EU-Ebene überhaupt durchsetzen lassen. Denn eigene Steuern der EU würden die fiskalische Hoheit von den Länderregierungen nach Brüssel verschieben. Und daran sind die nationalen Regierungen nicht interessiert.

Abgesehen davon halten Kritiker, wie etwa der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), die vorgeschlagene Abgabe für ein untaugliches Instrument, das weder dem Umweltschutz dienen wird noch Haushaltsprobleme lösen kann.

Ob eine solche EU-Steuer in die Tat umgesetzt wird, ist daher völlig ungewiss. Über Abgaben als eigene Einnahmequelle der EU wird seit Jahren debattiert - bislang ohne Ergebnis. Sollten sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf eine europaweite Abgabe einigen können, müsste eine "Plastiksteuer" in nationales Recht umgesetzt werden. Damit könnten uneinheitliche Abgaben drohen und infolgedessen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU. Bereits die Anpassung der Mineralölsteuer durch die europäische Energiesteuerrichtlinie 2006 hatte nur zur Festlegung von Mindeststeuersätzen für alle Mitgliedsstaaten geführt, nicht aber zu einer einheitlichen Besteuerung von Kraftstoffen.

Zwar scheint die Idee von einer Kunststoffabgabe auf den ersten Blick von einem gewissen Charme beseelt, da sie den Eindruck vermittelt, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Die EU würde sich eine neue Einnahmequelle erschließen und zugleich demonstrieren, wie entschlossen sie gegen die vermeintliche "Plastikflut" vorgeht, über welche die Medien mit erschreckenden Bildern von "vermüllten" Stränden und Meeren berichten. Doch die Vision von einem Win-win-Instrument, das Umwelt und EU-Haushalt gleichermaßen zum Vorteil gereicht, hat gleich mehrere Haken, wie der Hauptgeschäftsführer der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK), Dr. Martin Engelmann, stellvertretend für die vielen Kritiker der Kunststoffsteuer in einem Kommentar für Plas.TV deutlich macht.

Plastikabgabe fehlt Zweckbindung

Darin stellt der Experte zunächst fest, dass die EU-Kommission bislang noch keine vernünftige Folgenabschätzung zu dem Thema vorgelegt habe. Insofern könne niemand, auch die Brüsseler Behörde nicht, derzeit belastbare Aussagen zu den Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die Nachhaltigkeit treffen, erklärt der Experte. Er bemängelt unisono mit anderen Marktkennern zudem vor allem die Tatsache, dass die Einnahmen aus der Abgabe nicht zweckgebunden seien, sondern direkt in den Gesamthaushalt der EU einfließen sollen. Zusätzliche Mittel für weitere Forschung und Entwicklung im Bereich der Kunststoffverwertung sind somit von der geplanten Abgabe nicht zu erwarten. Daher werde sie auch nahezu keine direkten Auswirkungen auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft bzw. des Umweltschutzes haben, folgert Engelmann.

Stattdessen würde sie jenen Ländern in Europa, die erst am Aufbau einer effizienten Recyclingstruktur arbeiten, aber auch jenen, die sich für den Ausbau ihrer bestehenden Kapazitäten in diesem Bereich einsetzen, dafür benötigte Mittel entziehen. Denn die Kunststoffsteuer soll Berechnungen zufolge die europäische Industrie mit mindestens 8,24 Milliarden Euro pro Jahr belasten.

Letztlich würde eine "Kunststoffsteuer" den Herstellern in den EU-Mitgliedsstaaten also wichtige Mittel entziehen, die sie benötigen, um die Kreislaufwirtschaft für Kunststoffverpackungen weiter zu optimieren - gemäß der politischen Zielsetzung, dass bis 2030 alle Verpackungen in Europa recyclingfähig sein sollen.

Hinzu kommt, dass die Recycling-Infrastrukturen in den meisten EU-Ländern immer noch in kommunale Verantwortung fallen. Deshalb befürchten Beobachter, dass in den Mitgliedsstaaten kein großes Interesse daran bestehen dürfte, in diese Infrastruktur zu investieren - wenn man stattdessen alle Verpackungen als nicht recyclingfähig einstufen und darauf die "Steuer" erheben könnte. In dem Fall würde dann aber auch das Recyceln von Papier, Metall und Glas beeinträchtigt, was wohl politisch nicht gewünscht sein dürfte. Sollte dann doch in die Alternativen investiert werden, wäre dies ein klarer Wettbewerbsnachteil was zu kostenintensiven Klagen führen würde.

Nicht zu vergessen ist in dem Gesamtzusammenhang auch, dass unter Experten weiterhin darüber gestritten wird, ob Kunststoffrecycling prinzipiell aus ökologischer Sicht gegenüber neu produzierten Alternativen zu bevorzugen ist.

Daher befürchten Skeptiker, dass die derzeit diskutierte Einführung einer Kunststoffsteuer in der EU am Ende nur Loose-loose-Effekte zeitigen würde, mit einem großen Verlierer: der Umwelt.

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