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Reise nach Namibia sollte der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte dienen

Reise nach Namibia sollte der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte dienen
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Eigentlich bin ich nach Namibia gereist, um mich noch einmal mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Auf dem Weg vom Flughafen hinein nach Windhuk kündigt ein angewitterter Wegweiser auf das berühmte Reiterdenkmal von 1904, doch das wurde inzwischen durch einen nordkoreanischen Monumentalbau, der nun auf dem Reiterdenkmalhügel thront, ersetzt. Das dreieckige Unabhängigkeits-Gedenkmuseum wird vom Gründungspräsidenten Sam Nujoma und einem kettensprengenden Ehepaar in dicker Bronze flankiert. Das vergleichsweise mickrige Reiterdenkmal wurde in die letzte Ecke des Nationalmuseums weggeräumt. Die Silhouette Windhuks hat sich von einem kleinen Kolonialstädtchen in ein Wolkenkratzerstädtchen verwandelt, voll von Gegensätzen, voll von Kriminalität.

Nachdem sich das dünn besiedelte Namibia 2020 noch in Covid-Sicherheit wiegte, tauchte SARS Cov-2 im Winter 2021 (Mai – September) doch im Land auf und schlug erbarmungslos zu. Insbesondere die weißen Farmer hat es hart getroffen. Sie nahmen ihre Grippe auf die leichte Schulter, die nächste Krankenstation wäre sowieso hunderte Kilometer entfernt gewesen in den Weiten des Farm-Landes unterhalb der Roten Linie. Plötzlich sind etliche alte Farmer, Deutsche, Buren, Baster gestorben, selbst den Herero-Politiker und Geschäftsmann Paramount Chief Vekuii Rukoro hat es erwischt.

Und der Winter hatte es in sich! So viel Regen hatte die Wüste Jahre nicht gesehen. Die Touristenattraktionen Sossusvlei und Deadvlei stehen unter Wasser! Grün, aufknospende Blüten ranken plötzlich im Wüstensand, am Fuße der höchsten Dünen der Erde. Farmwirtschaft rentiert sich wieder, ein Gruß von Mutter Natur an die ausbleibenden Tourismuseinnahmen.

Die Rote Line, die einmal quer durch den Norden Namibias läuft, trennt Farmland von nomadischem Weideland, trennt Trockenheit im Süden von Feuchtigkeit im Norden, trennt Weiß von Schwarz. Gitterrost auf den Straßen und Zaun wurden in der Kolonialzeit eingeführt, um die Viehbestände der Farmer vor Maul- und Klauenseuche und Rinderpest zu bewahren, die unter den Viehherden der Nomaden nicht selten waren. Bis heute muss jeder Passagier von Nord nach Süd eine food control durchlaufen. Fleischprodukte dürfen nicht nach Süden eingeführt werden. Und während im Süden und in den großen Städten Windhuk und Swakopmund Covid-19 sein Unwesen trieb, war der dicht besiedelte Norden immer noch mit HIV, Malaria und Tuberkulose beschäftigt. Im Frühjahr, also ab Oktober, ließ das Wüten der Krankheit wieder nach, die 7-Tage-Inzidenz sank auf unter 20. 12 % der Bevölkerung sind inzwischen durchgeimpft. Die Covid-Saison ist vorüber. Omikron bleibt in Südafrika und Europa neue Virusvariante. Beim Shoppen werden Hände desinfiziert, Maske getragen, sonst ist momentan von Covid-19 nicht viel zu spüren.

Junge dynamische Frauen haben das Management auf den Gästefarmen übernommen. Das Leben schlägt noch einmal voll zu, bevor der Tourismus wieder im Lockdown versinkt. Hendrik, ein Rehoboth-Baster, mit leuchtend blauen Augen, erzählt von seiner Covid-Infektion im letzten Winter. Covid hatte den kräftigen Mann umgehauen. So müde war er in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Selbst als er schon wieder in der Werkstatt arbeitete, musste er sich auf Klo einschließen, um weiterzuschlafen. Und seine Frau musste leiden, als er krank war und seinen Geruchssinn verloren hatte. Seine Frau ist eine gute Köchin. Doch was sie ihm während seiner Krankheit vorsetzte, verbog seine Gemütsempfindungen. Er wollte ihr das Essen vor die Füße schmeißen, so schlecht hatte sie gekocht, meinte er. Nun ist er aber wieder wohl auf, ganz der alte nur etwas Trauer schwingt in seiner Rede mit. Covid-19 hat ihm eine Schwester, einen Bruder und einen Schwager genommen. Doch seine Frau kocht wieder hervorragendes Essen.

Mathilde, eine alte Swakopmunderin von 83 Jahren, hat die Krankheit gut überstanden: infiziert, genesen, geimpft. Sie erzählt uns ihre Lebensgeschichte. In Kapstadt geboren in Namibia aufgewachsen, 25 Jahre bei Siemens in München als Programmiererin gearbeitet. München sei jedoch nie ihre Heimat geworden. Bayern war ihr zu geschniegelt, hinter jeder Ecke wartete ein weiterer, herausgeputzter Kirchturm auf. Brandenburg war da viel wilder, so wie Namibia. Da hat sie noch in einer WG auf dem Lande gewohnt. Leider wurde ihre Rente durch die Wiedervereinigung geschmälert. Die Ossis haben ja nicht in die Rentenkasse eingezahlt und kriegen jetzt alle Rente! Ich widerspreche und frage mich im Stillen, wie eigentlich das Geld der DDR-Rentenkasse umgerubelt wurde. Naja, sie sei jetzt mit ihrer Schwester in Swakopmund zusammengezogen. Hier in Namibia können beide von ihrer Rente komfortabel leben. Während ich mir am Frühstücks-Buffett einen neuen Kaffee selbst nachschenke, switcht Mathilde von astreinem Deutsch in akzentfreies Englisch und ordert in barschem Befehlston bei Daniel, dem schwarzen Kellner ihre zweite Tasse Kaffee. Geht das nicht ein bisschen freundlicher, denke ich, aber schwarzweiß liegt den Südwestern immer noch tief im Blut.

Mathilde gegenüber sitzt ein echtes norddeutsches Licht. Ihre Vorfahren waren 1900 von Hamburg nach Deutschsüdwest ausgewandert. Sie lebt immer noch in Swakopmund. Dennoch hat sie es immer wieder in Deutschland probiert. Und so schön wie das farbenprächtige Laub im Herbst und der aufmunternde Amselgesang im Frühling auch sein mögen, ertrüge sie nicht das Grau dazwischen, zumal in diese Zeit auch noch alle deprimierenden Feiertage fallen: Totensonntag, Buß- und Bettag, Allerheiligen. Da nimmt sie doch lieber das immer gleichbleibende Klima von Swakopmund in Kauf.

Vor den Toren Swakopmunds an der B2 liegen die Rössing Mine (seit 1976 in Betrieb), und etwas weiter südlich die Husab Mine (Abbau seit 2017) die beiden größten Urantagebaue der Welt, die hauptsächlich China und Iran fleißig mit Uran versorgen. Südlich von Rössing Uranium Limited queren wir den Swakop, der uns, wie die meisten Flussbetten, mit feinem Schwemmsand anstatt mit Wasser verwöhnt. Auf dem Weg zum Kuiseb-Canyon liegt der Welwitschia-Drive im Naukluft-Nationalpark. Hier wachsen die bis zu 2.000 Jahre alten Welwitschias. Der Stamm ragt nur wenige Zentimeter aus dem Wüstenboden und bringt zwei Blätter hervor, die sich grün und bretthart über den steinigen Boden schieben. Die Luft ist heiß und trocken und man versteht weder, wie diese Pflanzen noch die hier herumstolzierenden Oryx-Antilopen in dieser lebensfeindlichen Umgebung überleben können. An den ausladenden Blättern kondensiert der Morgentau. Das Wasser sammelt sich an der Blattunterseite und wird von dort zu Stamm und Wurzel transportiert. Die Blattoberseite ist den Antilopen zugewandt. Doch es erwarten uns nicht nur Welwitschias am Drive. Immer öfter sind Abfahrten vom Weg durch das Naturschutzgebiet mit Verbotstafeln versehen, die den Zugang verbieten: Reptile Uranium (PTY) Ltd oder Langer Heinrich Uranium (PTY) Ltd. Am Langen Heinrich wird seit 2007 von Paladin Energy Australia (75%) und CNNC Overseas Uranium Holding Limited, eine Tochtergesellschaft der China Nuclear Corporation, die die restlichen 25% hält, Uran im viertgrößten Tagebau gewonnen. Swakop Uranium operiert die Husab-Minen und befindet sich zu 90% in chinesischer Hand, operiert durch die Taurus Minerals Ltd. of Hong Kong einer Tochtergesellschaft der China General Nuclear Power Company (CGNPC), Uranium Resources Co. Ltd. und des China-Africa Development Fund. Die Investition von CGNPC in Swakop Uranium ist eine der größten Investitionen in Namibia seit seiner Unabhängigkeit 1990 und bei weitem die größte Einzelinvestition Chinas in Afrika.

Die Unmengen an Wasser, die für die Tagebaue nötig sind, haben zur Austrocknung der Flüsse Swakop, Khan und Kuiseb geführt und das Wüstenklima weiter verschärft. Ob die jungen Welwitschias noch das hohe Alter ihrer Großmütter erreichen, schert die Gier des Menschen nicht. Immerhin liegt hier das viertgrößte und am billigsten zu fördernde Uranvorkommen der Welt und offeriert eine emissionsfreie und damit nachhaltige Verstromung entlang der neuen Seidenstraße. Dann endet an der C14, als wäre der Straßenname Programm, das Uran-Explorationsgebiet, um gleich in das Namib Speergebiet überzugehen. Hier buddelt die Namdeb, ein Unternehmen vom Staat Namibia und De Beers nach Diamanten, die aus den Kimberleys in Südafrika hier angeschwemmt und landeinwärts gewindet wurden. Als die Erträge an Land nachließen, wandte Debmarine sich der Offshore-Förderung zu. Mit großen Sauggeräten wird inzwischen die Küste vor der Namib abgesaugt. De Beers Jahresproduktion im südlichen Afrika stieg zeitweise auf über 9 Tonnen, das sind 47 Millionen Karat.

Im Norden, jenseits der Roten Linie hat sich auch einiges geändert. Wenn man noch vor zehn Jahren versuchte, aus dem vorbeifahrenden Auto ein Himba-Dorf zu fotografieren, wurde man mit Flüchen belegt und im schlimmsten Fall mit Steinen beworfen. Die Ziegenhirten im kargen und schwerzugänglichen Kaokoland haben ihre eigene Tracht. Die Frauen reiben ihre Haut mit einer Paste aus rotem Eisensand und dem Öl der Früchte des Cammifora-Strauches (afrikanische Myrre) ein. Das färbt ihre Haut rotbraun, hält Stechmücken ab und ersetzt das Waschen im ariden Land. Dazu tragen sie Lendenschurze aus Ziegenleder und Lederkronen je nach Stand. Wenn man heute durch ihr Stammesgebiet fährt, weisen handgemalte Schilder zu etlichen cultural villages. Hier stellen sie dem Touristen gegen entsprechendes Entgelt ihre traditionelle Lebensweise vor. Solche Kulturdörfer zur Erhaltung der traditionellen Lebensweise wurde ursprünglich mit deutscher Unterstützung in Namibia eingeführt, die Gelder - im Zuge der Herero-Genozid-Auseinandersetzung - aufgestockt. Eine Touristenattraktion, die Vergangenes vorgaukelt. Trifft man heute am Straßenrand auf eine Himba, hat diese inzwischen ihre Ziegenherde im Stich gelassen, und posiert ausgelassen mit dem Touristen für ein bezahltes Foto. Während die Gästefarmen und Fotomodels weiter auf Touristen warten, ist Namibia mittlerweile zwischen chinesischen, australischen, britischen und südafrikanischen Konsortien aufgeteilt: Uran, Diamanten, Kupfer, Zink, Zinn, Titan, seltene Erden. Natürlich laden die weiten Wüsten-Landschaften und die gutoperierten Großzoos Etosha und die Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area zu Fotosafaris ein, aber der Charme von einst weicht zunehmend den merkantilen Interessen der international agierenden Großunternehmen, denen ein Naturschutzstatus genauso egal ist wie das traditionelle Leben der Damara, Himba, Herero oder Swartbooi.

Nach drei Wochen Namibia-Urlaub landen wir braungebrannt und kerngesund in Frankfurt. Der letzte Flieger, der Europa noch mit Namibia verbindet, wird an einer weit entfernten Bordsteinkannte abgestellt, dann stürmt die Bundespolizei das Flugzeug, um unsere PCR-Tests zu kontrollieren. Alle müssen sich in häusliche Quarantäne begeben, doch Omikron war schon vorher in Deutschland. Die Deutschen waren einfach schlampiger als die Südafrikaner und haben die Proben ihrer Covid-Patienten nicht mehr sequenziert. Weil Südafrika mit ihrer Wissenschaft weiter ist als Deutschland, müssen wir dafür Buße tragen. Naja, den Buß- und Bettag, hatten wir in Namibia verpasst. Aber wir haben ihn ganz gelassen die nächsten 14 Tage nachgeholt.

Ich wünsche Ihnen ein gesundes und glückliches neues Jahr.

Herzlichst Ihr Marcus Schütz, promovierter Biologe, Heilpraktiker und Autor

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