Rassismusvorwürfe und Unregelmäßigkeiten bei der Listenaufstellung belasten Freie Wähler Berlin nach Kandidatenkür von Marcel Luthe
Berlin (ots)
Für die Jungen Freie Wähler Berlin sind die katastrophalen Zustände der Mutterpartei auf der Berliner Landesebene nicht weiter hinnehmbar. Ohne einen sofortigen Wechsel an der Parteispitze rückt der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus nächsten September in unerreichbare Ferne und die Partei zunehmend in die rechte Ecke.
"Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen anders. Der zurückliegende Parteitag war eine Ohrfeige für alle Demokraten in unseren Reihen - und für alle jungen Mitglieder, die auf einen Neustart für die Berliner Politik und ein Ende rot-rot-grüner Ideologien im Senat gehofft haben", fasst Bayram Oruç, stellv. Vorsitzender der Jungen Freien Wähler (JFW) Berlin, den Parteitag der Freien Wähler Berlin im April zusammen. Dieser ist noch immer Gegenstand schiedsgerichtlicher Verfahren. "Der interessierten Öffentlichkeit und der Presse wurde der Zugang zum Parteitag verweigert, eine digitale Übertragung gab es nicht, Mitglieder mit positiven Corona-Tests durften an der Versammlung teilnehmen, dazu schwebten Rassismusvorwürfe über der Veranstaltung - weil Bewerber um die Mitgliedschaft mit ausländisch klingenden Namen oder ausländischen Wurzeln erst über Wochen vertröstet und dann kurz vor dem Parteitag sang- und klanglos abgelehnt wurden - ohne, dass zuvor mit ihnen gesprochen wurde. Ich schäme mich für diese, für meine Partei", resümiert Oruç und ergänzt: "Wir haben ein massives Problem mit Mobbing und strukturellem Rassismus bei den Freien Wählern Berlin, aber kaum einer sieht es, weil Bewerber mit Zuwanderungsgeschichte oftmals im stillen Kämmerlein abgelehnt werden. Ich frage mich: Warum?! Liegt es am falschen (fremdländisch klingenden) Namen, der falschen (dunklen) Hautfarbe oder der falschen (ausländischen) Herkunft? Als Berliner mit türkischen Wurzeln ist dieses rassistische Gebaren für mich nicht länger hinnehmbar!"
Bewerber mit fremdländisch klingenden Namen als Mitglieder abgelehnt: Zafar, Mubarak, Ilbey, Ummahan, Dilek, Zeliha, Fatma, Burhan, Emre, Abbas
Zafar K. und sein Neffe Mubarak K. wollten den Freien Wählern Berlin beitreten und für ihren Stadtteil Gesundbrunnen bei der Abgeordnetenhauswahl antreten. Zafar K. war früher Mitglied der SPD. Er sprach mit Melina Ewald, Bezirksvorsitzende der zuständigen Bezirksvereinigung Freien Wähler Berlin-Mitte und ebenso stellv. Vorsitzende der JFW Berlin, die seine Aufnahme befürwortete. Ewald: "Wir brauchen neue junge und engagierte Mitglieder wie diese beiden, die mit anpacken und gemeinsam mit uns Berlin verändern wollen. Außerdem haben wir bislang niemanden in unseren Reihen, der dort für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus antreten möchte. Aus mir völlig unerklärlichen Gründen lehnte der Landesvorsitzende Tobias Bauer beide Mitgliedschaftsanträge ab, ohne überhaupt je ein Wort mit Zafar oder Mubarak K. gesprochen zu haben. Ich, die mit beiden ein Vorgespräch geführt und die Aufnahme befürwortet hatte, wurde noch nicht einmal über die Ablehnung informiert." Bis heute wisse sie offiziell nichts von der Absage, wenn Zafar K. sie nicht darüber informiert hätte. Bayram A., Ilbey A., Ummahan A., Dilek A., Zeliha B., Fatma L., Burhan O., Dilek S., Emre T. und Abbas Z. wurden ebenfalls am gleichen Tag ohne Gespräch als Mitglied abgelehnt, nachdem sie drei Wochen lang auf eine Antwort warteten. Zehn deutsch klingende Bewerber wurden hingegen rasch zu Gesprächen eingeladen, von denen neun aufgenommen wurden. Nur Mirko K. mit Eltern aus Kroatien und Serbien wurde nach dem Gespräch ebenfalls kurzer Hand abgelehnt. Ewald: "Ich mag hier nicht an Zufälle glauben!"
Vorstandsmitglied der Freien Wähler Berlin selbst Opfer von Diskriminierung und Rassismus
"Jedes Mitglied weiß, wer die Aufnahme durchführt, schließlich hatte jeder mal ein solches Aufnahmegespräch: der Landesvorsitzende Tobias Bauer und sein Stellvertreter Tobias Eder. Diese beiden entscheiden über Mitgliedsanträge. Ebenso wurde dem Abgeordneten Marcel Luthe mittlerweile ein Mitspracherecht eingeräumt. Bloß dass es bei zahlreichen Bewerberinnen und Bewerbern mit offensichtlichem Migrationshintergrund erst gar keine Gespräche gab, bei denen er mitreden hätte können", beklagt Oruç, der als Berliner mit türkischen Wurzeln und jugendpolitischer Vertreter im Vorstand der Freien Wähler Berlin eigenen Angaben zufolge bereits selbst Opfer von Diskriminierung und Rassismus im Landesverband wurde. An eine Begebenheit erinnert er sich dabei noch gut: "Einmal habe ich einen langen, differenzierten Beitrag in unserem Vorstandschat geschrieben, woraufhin mir der Landesvorsitzende Tobias Bauer vor allen antwortete, im Keller seien noch Flyer, die ich verteilen könne. Über Inhalte will man mit einem wie mir offenbar nicht reden. Dabei habe ich mit meiner Jugendorganisation ohnehin mehr Flyer-Aktionen organisiert als der Rest des Landesvorstands. Als studierter Deutschtürke bin ich im Vorstand der Landespartei offenbar nur für Handlanger-Tätigkeiten zu gebrauchen. Immerhin wurde ich noch nicht als Ölauge beschimpft. Dennoch: Seit diesem Vorfall sage ich kaum noch etwas. So weit ist es schon gekommen bei den Freien Wählern!"
Schon im vergangenen Jahr gab es massenhaft Ablehnungen bei Bewerberinnen und Bewerbern um die Mitgliedschaft bei den Freien Wählern Berlin, um die Gründung einer Bezirksvereinigung in Charlottenburg-Wilmersdorf zu verhindern. Immer wieder wurde im großen Stil von Ablehnungen Gebrauch gemacht, vermutlich mehr als in allen anderen Parteien oder bei den Freien Wählern anderer Bundesländer zusammen. "Insidern zufolge sind die Freien Wähler Berlin mehr ein Club als eine Partei. Es kam heraus, dass bereits 2020 sieben Interessenten aus Charlottenburg-Wilmersdorf ohne Angabe von Gründen abgelehnt wurden und niemand im Vorstand außer der Vorsitzende selbst darüber Bescheid wusste - bei einer Landespartei, die zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als 50 Mitglieder hatte, eine enorme Zahl. Als Junge Freie Wähler Berlin distanzieren wir uns ausdrücklich von derartigen Massenablehnungen" erklärt Oruç.
Schwerer Start für Ex-FDP-Shootingstar Marcel Luthe
Für Marcel Luthe, der 2016 für die Freien Demokraten (FDP) ins Abgeordnetenhaus einzog, im Juli 2020 aus der FDP-Fraktion ausgeschlossen wurde und wenige Monate später aus der FDP austrat, dürfte es als frisch gewählter Spitzenkandidat der Freien Wähler Berlin bei der Wahl nicht einfach werden - erst recht nicht bei der männlich und deutsch dominierten Landesliste. In der Partei wird er wohl nur eine Zukunft haben, wenn diese sich in der Hauptstadt Berlin grundlegend neu aufstellt. Oruç: "Ich wünsche Marcel Luthe ein glückliches Händchen und hoffe sehr, dass er der Berliner Politik erhalten bleibt. Mit dem Rückhalt und dem Einsatz der Jungen Freien Wähler und sicherlich vieler weiteren Mitglieder der Mutterpartei, die Rassismus, Mobbing und Diskriminierung energisch ablehnen, können er und die Landespartei unter diesen Vorzeichen jedoch nicht im Wahlkampf rechnen. Denn mit der nun gewählten Landesliste wird der strukturelle Rassismus weiter manifestiert. Solche Leute möchten wir nicht im Abgeordnetenhaus sehen. Wir brauchen keine zweite AfD-Fraktion! Der Verdacht der Unwirksamkeit der Listenwahl steht zudem weiter im Raum und belastet das Parteiklima immens. Das können, das werden wir nicht mittragen! Bundesparteichef Hubert Aiwanger darf hier nicht länger weggucken."
Rückschau auf den Parteitag im April: aus Angst vor Corona-Infektion geflüchtet
"Nachdem bei unserem April-Parteitag klar war, dass im Saal im Funkhaus Berlin Mitglieder mit positiven Corona-Schnelltests eingelassen wurden, ohne dass seitens der Sitzungsleitung adäquat reagiert wurde, haben zahlreiche Mitglieder den Saal verlassen - mich eingeschlossen. Bei der aufgezwungenen Abwägung zwischen dem persönlichen Gesundheitsschutz auf der einen, und dem Ausüben des aktiven wie passiven Wahlrechts auf der anderen Seite, haben viele verständlicherweise für die eigene körperliche Unversehrtheit votiert - erst recht, nachdem die Polizei vor Ort eintraf und mehrere positiv getestete Mitglieder zum Gehen aufforderte", erinnert sich Melina Ewald gut. Welche Auswirkungen dies rechtlich hat, darüber wird noch immer gestritten. "Das, was uns wirklich am Herzen liegt, unaufgeregte Sachpolitik für Berlin - innovativ, sachlich, pragmatisch - stand für die handelnden Akteure im Parteivorsitz bei diesem katastrophalen Parteitag leider nicht im Vordergrund. Politik muss der Bevölkerung dienen, nicht umgekehrt - das bleibt unsere Devise als Junge Freie Wähler. Klar ist daher: Bevor freie Wähler in Berlin für einen Neustart der Politik sorgen, muss es einen Neustart innerhalb der Landespartei geben: ohne Rassismus, Mobbing, Diskriminierung oder Frauenfeindlichkeit. Für diesen grundlegenden Wandel werden wir uns, werde ich mich persönlich stark machen."
Freie Wähler Berlin führen Krieg gegen ihren eigenen Jugendverband
Weil die beschriebenen Missstände von Seiten der Jungen Freien Wählern (JFW) Berlin angesprochen wurden, hat Landesparteichef Tobias Bauer nunmehr zwei Ordnungsverfahren gegen den JFW-Vorsitzenden Nickolas Emrich und den jugendpolitischen Vertreter Bayram Oruç eingeleitet. Ebenso entzog er der Pressesprecherin Melina Ewald die Zugänge zur Facebook-Seite der JFW, obwohl Ewald sich in der Sache bis dato noch gar nicht geäußert hatte. Oruç und Emrich gehören ebenfalls dem Landesvorstand der Mutterpartei an, letzterer als Landesgeschäftsführer. Tobias Bauer bot auf einem Mitgliedertreffen öffentlich vor allen Teilnehmern an, die Ordnungsverfahren gegen Oruç und Emrich wieder zu beenden, wenn diese ihre Anfechtung des Landesparteitages zurückziehen würden. "Grenzwertig" findet dies der Vorstand der Jungen Freien Wähler, denn diese Verknüpfung hat erkennbar keinen Sachzusammenhang, schließlich sollte es bei einem Ordnungsverfahren doch um eine konkrete, benennbare Verfehlung gehen, die aus Sicht des Vorstandes des Jungen Freien Wähler bestenfalls auf der Seite von Landeschef Tobias Bauer zu sehen ist. Oruç: "Manch einer kann mit Macht, sei es nur das Bisschen in einer kleinen Partei ohne selbst errungenes Mandat im Abgeordnetenhaus, nicht umgehen und nutzt diese für eigene, für persönliche Zwecke. Wenn sich dazu Rassismus, Mobbing und Diskriminierung gesellen, ist das eine extrem gefährliche Kombination - eine, die im Berliner Abgeordnetenhaus nichts zu suchen haben sollte, wenn man sich als Demokratinnen und Demokraten bezeichnet."
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Bayram Oruç
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E-Mail: jpv@be.freiewaehler.eu
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