Verpasste Chance: Bildungsgipfel ohne Bürgerrat Bildung und Lernen
Bonn (ots)
Wenn die Politik über Krisen und deren vermeintliche Lösung debattiert, werden Bürgerinnen und Bürger meist nicht gefragt. Wie zahlreiche andere zivilgesellschaftliche Gruppen war auch der Bürgerrat Bildung und Lernen nicht zum Bildungsgipfel der Bundesregierung eingeladen. "Schade eigentlich", sagt Florian Daumüller, Mitglied des bundesweit aktiven Bürgerrats. 2020 wurde das Beteiligungsformat von der unabhängigen und gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Mit seinen rund 700 Mitgliedern ist der Bürgerrat einer der größten Deutschlands. Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und spiegeln damit einen Querschnitt der deutschen Gesellschaft wider. Ziel ist es, mehrheitsfähige Empfehlungen zum Thema Bildung und Lernen zu erarbeiten.
Mehr Expertise geht eigentlich nicht. "Was müssen wir denn tun, um beim jetzt ausgerufenen Team Bildung mit dazu zu gehören?", fragt Florian Daumüller, der im echten Leben als Team-Entwickler arbeitet und jungen Menschen beim Start ins Berufsleben hilft. Dass viele Politikerinnen und Politiker der Arbeit des Bürgerrats noch zurückhaltend gegenüberstehen, hält Florian Daumüller für eine verpasste Chance. Grundsätzlich sei es eine schöne Idee, dass die Bundesregierung jetzt ein "Team Bildung" ausrufe. "Das klingt so, als seien wir alle eingeladen, da mitzumachen", sagt der 36-jährige Karlsruher. Doch wenn das Team von den Verantwortlichen im gleichen Atemzug als eine von oben verordnete "Task Force" positioniert werde, und die Kultusministerkonferenz reflexartig auf die Hoheit der Länder bei Bildungsfragen verweist, trete der Teambuilding-Prozess der Politik weiter auf der Stelle. "Es ist, um im Bild zu bleiben, ein Armutszeugnis der deutschen Bildungspolitik, dass es nicht gelingt, sich auf ein koordiniertes Zusammenwirken zu verständigen", erklärt Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Montag Stiftung Denkwerkstatt.
Direkt im Anschluss an den Bildungsgipfel trifft sich diese Woche noch die Kultusministerkonferenz (KMK). Und auch hier gilt: Während Politik und Verbände über Zuständigkeiten und Formalien streiten, sitzen die, um die es in den Expertenrunden eigentlich geht, wieder nicht mit am Tisch: die Schülerinnen und Schüler. "Ohne uns geht es aber nicht", sagt Esma Nur aus Wuppertal. Auch sie ist Mitglied im Bürgerrat. Genau wie viele andere Schülerinnen, Auszubildende, Studenten, Lehrkräfte und Eltern ist auch sie von den massiven Bildungsproblemen direkt betroffen. Ob Unterrichtsausfall, marode Schulgebäude oder veraltete Lehrmethoden: Die Liste der Probleme ist lang. Von einem positiven Lernumfeld kann oft nicht die Rede sein. "Doch die da oben hören uns einfach nicht zu", sagt die 16-jährige. Unter dem Motto #besserlernen haben die Kinder und Jugendlichen im Bürgerrat vor einigen Wochen ihrem Ärger Luft gemacht und einen offenen Brief an die Politik veröffentlicht ( www.besserlernen.schule). Hier pochen sie auf ihr Recht auf Mitbestimmung: "Wir haben keine Zeit zu verlieren. Sprecht mit uns, wie wir Bildung in unserem Land besser und gerechter machen können."
Maßnahmen gegen die Ungerechtigkeit im Bildungssystem
Während die Politik auf Bundes- und Landesebene tagt, trifft sich auch der Bürgerrat Bildung und Lernen am kommenden Wochenende zu einer Tagung auf Schloss Montabaur. Dort wollen die Teilnehmenden ihre Empfehlungen für Gerechtigkeit im deutschen Bildungssystem verabschieden. Denn im internationalen Vergleich schneidet Deutschland beim Thema Bildungsgerechtigkeit nach wie vor schlecht ab. "Dass dein Bildungserfolg hierzulande ganz eng mit deiner sozialen Herkunft zusammenhängt, das war schon zu meiner Schulzeit so", erinnert sich Florian Daumüller. Um tatsächlich Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, brauche es auch die Empfehlungen des Bürgerrats. Das aktuelle Programm wurde seit April 2022 in verschiedenen Gruppen von bis zu 300 Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet und beraten.
Seit zwei Jahren engagiert sich Florian Daumüller mittlerweile ehrenamtlich im Bürgerrat. Sein Fazit: "Das ist ein sehr demokratischer und damit auch anstrengender Prozess." Aber die Mühe sei es wert. Zeit, dass die Politik das auch erkennt.
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