Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Begrüßungsansprache von Markus Meckel, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, zur Gedenkveranstaltung am Volkstrauertag im Deutschen Bundestag
Berlin (ots)
Am Volkstrauertag trauern wir um die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Dabei denken wir normalerweise an die Toten der Kriege des letzten Jahrhunderts. Nun aber mussten wir vorgestern Abend diese furchtbaren Anschläge in Paris erleben - mit Hunderten von Toten und Verwundeten. Es ist ein Angriff nicht nur auf das französische Volk, dem wir unser Mitgefühl und unsere Solidarität ausdrücken, sondern auch auf unsere gemeinsamen europäischen Werte, auf unser Leben in Freiheit, in einer von Toleranz geprägten offenen Gesellschaft. Ich bitte Sie, sich in der Trauer um die Opfer dieser Anschläge zu einer Gedenkminute zu erheben. Ich danke Ihnen!
Anrede
In diesem Jahr haben wir - 70 Jahre danach - in vielfältiger Weise an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Wir trauern um die Millionen Toten dieses und aller Kriege. Wir sind heute nicht nur durch den gerade wieder so furchtbar erlebten Terrorismus in Frankreich erschüttert. Unser Gedenken ist auch durch die Erfahrung geprägt, dass Krieg und Gewalt nicht nur Vergangenheit sind, sondern grauenhafte Gegenwart, in Europa, in der Ostukraine, und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wie in Syrien. Wie vor 70 Jahren sind Hunderttausende, ja Millionen auf der Flucht und suchen Sicherheit und Lebenschancen. Wir sind herausgefordert und fühlen uns wohl auch ein Stück überfordert. Doch gilt es, diesen oft von Krieg und furchtbarsten Erfahrungen traumatisierten Menschen gerecht zu werden, ihr Leid und ihre Würde ernst zu nehmen. Ich danke der Bundesregierung, den Ländern und Kommunen sowie den zahllosen engagierten Bürgern, deren Bemühen darum allerorten sichtbar ist. Vor 70 Jahren endete dieser furchtbarste aller Kriege, der nach dem Hitler-Stalin-Pakt mit dem Überfall auf Polen begann, unendliches Leid über viele Völkern gebracht und ganz Europa in Brand und Schrecken versetzt. Deutschland - und Europa - wurde in der Folge des Krieges für Jahrzehnte geteilt. Es dauerte jedoch nach 1945 lange, bis in unserem Land unsere Schuld und Verantwortung für diesen Angriffs- und Vernichtungskrieg und seine Verbrechen - für den Terror und die mörderische Gewalt in den besetzten Gebieten Europas, für den Völkermord an Juden, Roma und Sinti, für den Tod von Millionen Zivilisten - , bis dies von der breiten Mehrheit in unserer Gesellschaft anerkannt wurden. Heute sind wir uns glücklicherweise über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass ein Bewusstsein dieser Verantwortung auch in Zukunft deutsche Politik bestimmen muss. So wird es nun auch in Europa mehr und mehr möglich, an diese Ereignisse über die Grenzen hinweg gemeinschaftlich zu erinnern. Wir Deutschen haben allen Grund, dafür dankbar zu sein. Nach meinem Eindruck ist es uns in Deutschland in diesem Jahr bei den vielen wichtigen Reden, die zum Gedenken an das Kriegsende gehalten wurden, in guter Weise gelungen, an die verschiedenen Opfer dieses Krieges zu erinnern, ohne sie gegeneinander aufzuwiegen oder gar aufzurechnen. Ihnen, Herr Bundespräsident, ist zu danken, dass Sie in Stukenbrock zudem auf eine Opfergruppe aufmerksam machten, die in unserem Erinnerungsdiskurs allzu oft vergessen ist: die mehr als drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Deutschland den Tod fanden. Der Bundesregierung bin ich dankbar, dass wir nun in einem größeren Forschungsprojekt die Suche nach den Namen und dem Schicksal der sowjetischen und der deutschen Kriegsgefangenen und Internierten zum Abschluss bringen, um die Ergebnisse den Angehörigen und der wissenschaftlichen Aufarbeitung zugänglich zu machen. Erst nach den Umbrüchen vor 25 Jahren konnte der Volksbund auch im Osten Europas mit seiner Arbeit beginnen, die gefallenen deutschen Soldaten und andere Kriegsopfer bergen und auf Sammelfriedhöfen würdig bestatten. Wie im Westen Europas nach 1945 setzte dies eine intensive Versöhnungsarbeit voraus, denn die deutschen Soldaten waren ja nicht als Freunde in diese Länder gekommen. In den letzten Wochen konnten wir an die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche und den Brief der polnischen katholischen Bischöfe an ihre deutschen Amtskollegen vor 50 Jahren erinnern - beides waren Meilensteine der Versöhnung mit unseren Nachbarn. Auch in diesem Jahr konnten wir wieder ca. 30 000 Gefallene bergen und ihnen ein würdiges Grab geben. Wer heute noch nach einem Angehörigen sucht, der während des Krieges im Osten Europas den Tod fand, kann also durchaus berechtigte Hoffnung hegen, dass wir ihn gefunden haben oder noch finden werden. Wichtig ist, dass die Hinterbliebenen bei uns nachfragen, denn es ist zunehmend schwierig, die Angehörigen ausfindig zu machen! Eine zunehmend wichtige Aufgabe besteht für uns darin, den nachfolgenden Generationen diese Kriegsgräberstätten nahezubringen, um sich so mit unserer schwierigen Geschichte, die sie ja auch betrifft, auseinanderzusetzen. Unter den etwa 20 000 Jugendlichen, die wir jährlich mit dieser Arbeit erreichen, sind auch zunehmend solche, die als Migranten selbst bereits Krieg und Gewalt erleiden mussten; Sie werden gleich in der Lesung mehr davon hören. Mit dieser ungeahnten Aktualität wird deutlich, dass Menschlichkeit und Frieden Herausforderungen für unser konkretes Handeln sind und bleiben. Möge uns diese Verknüpfung von Aufarbeitung von Vergangenheit, Bewältigung der Gegenwart und der Gestaltung einer friedlichen Zukunft immer besser gelingen! Ich danke Ihnen!
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