Deutsche Umwelthilfe bewertet Abschlussbericht des VW-Untersuchungsausschusses: Große Koalition stellt sich selbst einen Persilschein aus
Berlin (ots)
Arbeit der Untersuchungskommission brachte wertvolle Erkenntnisse über die Struktur der Fernsteuerung von Behörden und Regierungen durch die Konzernzentralen von BMW, Daimler und Volkswagen - DUH sieht keine Veränderung im "eheähnlichen Verhältnis" zwischen Autokonzernen und der Bundesregierung
Nach einem Jahr Arbeit hat der von der Opposition einberufene Parlamentarische Untersuchungsausschuss "Abgas" im Juni 2017 seinen offiziellen Abschlussbericht vorgelegt. Hierin stellt sich die Große Koalition einen "Persilschein" aus und kommt zum verblüffenden Ergebnis, dass Regierung und Behörden keinerlei Fehler nachgewiesen werden konnten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht hierin den Beleg, dass selbst der größte Industrieskandal in der Bundesrepublik Deutschland nicht das "eheähnliche Verhältnis" zwischen Autokonzernen und der Bundesregierung erschüttern konnte.
"Hinweise der Deutschen Umwelthilfe seit 2007 auf verbotene Abschalteinrichtungen wurden von der Ausschussmehrheit mit dem Argument negiert, dies seien seinerzeit nur Indizien aber keine "Beweise" gewesen. Auch das von der Weltgesundheitsorganisation WHO, der EU-Kommission und dem Fraunhofer Institut übereinstimmend als gesundheitsschädlich bewertete Dieselabgasgift Stickstoffdioxid sieht die Ausschussmehrheit als unproblematisch an", so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Die Große Koalition hielt den Untersuchungsausschuss von Anfang an für überflüssig und betont dies auch in ihrem Bericht. Sie zieht keinerlei Konsequenzen aus den Ergebnissen - kein Wunder, denn die Interpretation der Ergebnisse kommt einer umfassenden Freisprechung von Versäumnissen jedweder Art gleich.
Die amerikanischen Behörden berufen sich bei ihrer Aufklärungsarbeit auf rechtliche Vorgaben, die mit denen der EU nahezu identisch sind. Der wesentliche Unterschied zwischen der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) und dem Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland ist das Selbstverständnis der EPA als unabhängige und der Öffentlichkeit verpflichtete Kontrollbehörde und einem Kraftfahrt-Bundesamt, dessen Präsident Emails "Mit industriefreundlichen Grüßen" zeichnet, Abgasprüfungen bei den betroffenen Herstellern durchführen lässt und die Prüfberichte vor Veröffentlichung zur Durchsicht und Korrektur an die Autokonzerne schickt.
Die in Deutschland zuständigen Behörden können nach den Ergebnissen des Ausschusses nicht leugnen, dass sie seit 2007 alle Hinweise auf illegale Praktiken bei Abgasemissionen und Spritverbrauch ignoriert haben. Ihre Ausrede: Man habe ihnen nur Indizien präsentiert, keine 'Beweise'. Mehr noch: Obwohl sie seit zehn Jahren verpflichtet sind, ein wirksames Kontroll- und Sanktionsinstrumentarium zu entwickeln, wurde diese EU-Vorschrift offensichtlich auf Bitten der zu kontrollierenden Industrie bis heute nicht umgesetzt. Die EU-Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Dieser Protektionismus geht zulasten der Gesundheit der Bevölkerung. Jedes Jahr sterben in Deutschland nach Erhebungen der Europäischen Umweltagentur 10.610 Menschen vorzeitig an den Folgen des Dieselabgasgiftes Stickstoffdioxid (NO2). Die Ausschuss-Mitglieder der Großen Koalition leugnen, dass diese Stickoxide krankmachen und bezeichnen NO2 als gesundheitlich nicht relevant. Die derzeitigen gravierenden Überschreitungen des NO2-Grenzwertes in praktisch allen größeren Städten an verkehrsnahen Messstellen werden mit der Aussage bagatellisiert, diese hätten "relativ wenig Aussagekraft". Diese Aussage trifft die Koalition in einem Moment, in dem das laufende EU-Vertragsverletzungsverfahren aufgrund eben dieser seit Jahren anhaltenden Überschreitungen kurz davorsteht, als Klage der EU-Kommission gegen Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof verhandelt zu werden. Und wenige Monate, bevor zum Jahresbeginn 2018 in München, Stuttgart, Hamburg, Düsseldorf, Köln und vielen weiteren Städten Diesel-Fahrverbote ausgesprochen werden.
Die Abgasmessungen der DUH im Rahmen ihres Emissions-Kontroll-Instituts (EKI) zeigen, dass nach wie vor viele Euro 6 Diesel-Pkw mit massiv erhöhten Schadstoffemissionen verkauft werden. Nur wenige Modelle zeigen auf der Straße dasselbe korrekte Abgasverhalten wie im Prüflabor. Diese Fahrzeuge werden in den kommenden Jahren weiter unsere Atemluft verpesten.
"Solange die Industrie darauf verzichtet, nur noch Fahrzeuge zu verkaufen, die die Grenzwerte auch auf der Straße einhalten, müssen die Städte mit Einfahrverboten für Dieselfahrzeuge antworten. Dass die Politik auf knapp hundert Seiten von diesem Regierungsversagen ablenkt, komplex formulierte Ausreden sucht und darauf verzichtet, die Industrie in die Pflicht zu nehmen, alle ausgelieferten Euro 5 und Euro 6 Diesel so nachzubessern, dass sie auf der Straße den aktuellen Grenzwert von 80 mg NOx/km unterschreiten, zeigt zudem auf, wer in dieser eheähnlichen Beziehung die Hosen anhat", so Resch.
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