Umweltverbände verlangen Kurskorrektur bei Föderalismusreform
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Berlin (ots)
10. März 2006: Zur heutigen 1. Lesung der Gesetzentwürfe zur Föderalismusreform riefen die Umweltverbände zu einer Kurskorrektur im Umweltschutz auf. "Die Ministerpräsidenten müssen ihre Machtansprüche, die an Feudalfürsten erinnern und ihr Streben nach Kleinstaaterei zugunsten eines einheitlicheren Rechtsraumes in Gesamtdeutschland zurückstecken", forderte der Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Helmut Röscheisen. Es sollte den Ministerpräsidenten zu denken geben, dass nicht nur alle Umweltfachleute vor einer unausgegorenen, widersprüchlichen und nicht transparenten Föderalismusreform im Umweltschutz warnen, sondern auch die Vertreter der Wirtschaft ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit beklagen. Die Umweltverbände forderten daher einen eigenständigen Kompetenztitel des Bundes "Recht des Umweltschutzes" ohne die sog. Erforderlichkeitsklausel und ohne Abweichungsrechten der Bundesländer. Detailberatungen müssten bei Expertenanhörungen der Umweltausschüsse von Bundestag und Bundesrat erfolgen.
Nach dem derzeitigen Reformstand sollen die Länder anstelle der bisherigen Rahmengesetzgebung des Bundes bei Naturschutz- und Landschaftspflege, Wasserrecht, Raumordnung und Jagdrecht nach der Verabschiedung von Bundesgesetzen in Form der konkurrierenden Gesetzgebung davon abweichendes Landesrecht erlassen dürfen. Sowohl der Bund als auch die Länder besitzen dann eine Gesetzgebungskompetenz. Die Folge dieser Parallelgesetzgebung von Bund und Ländern wäre eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die zu großen Hemmnissen für die deutsche Wirtschaft führen und ausländische Investoren abschrecken würde.
Der Naturschutzbund Deutschland kritisierte die weitreichenden Abweichungsmöglichkeiten der Länder im Naturschutzrecht. "Bisher gilt, dass Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft möglichst zu vermeiden sind bzw. so gering wie möglich ausfallen. Diese Regelung hat sich grundsätzlich bewährt", so Jörg-Andreas Krüger, Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik beim NABU. Die vorgesehene Neuregelung würde nun außerhalb von Schutzgebieten den Verzicht auf diese Regelung ermöglichen mit weitreichenden Folgen für den Naturschutz.
Werde in einer Ortsrandlage eine neuer Unternehmensstandort errichtet und diesem Ausbau eine alte Obstwiese, alte Bäume sowie eine traditionelle Spazierstrecke für die Ortsbewohner geopfert, so würden dazu künftig in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen gelten. In einem Land wäre es - wie bisher - das Ziel, möglichst wenig Fläche zu überbauen, einige Bäume stehen zu lassen und neue Bäume zu pflanzen. In anderen Bundesländern würde jedoch keine dieser Regelungen mehr greifen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Natur und Landschaft werde damit dem wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen einzelnen Bundesländern preis gegeben. "Unternehmer wären gezwungen, sich in jedem Bundesland eine andere Rechtslage zu beachten und gleichzeitig würden Lebensqualität und der Charakter unserer Landschaften kurzfristigem Profitstreben geopfert", befürchtet Krüger.
Dass die Bundesländer die neuen Rechte auch zum Schaden von Umwelt- und Naturschutz nutzen würden, dafür gibt es viele Indizien. Wo es geht, bauen die Länder Verwaltungs- und Vollzugskapazitäten ab. Dies gilt insbesondere im Natur- und Umweltschutz. Es ist nicht anzunehmen, dass die Länder vor diesem Hintergrund Bestimmungen erlassen, wofür genau diese Kapazitäten wieder gebraucht würden. Zum Zweiten sind die Länder die treibende Kraft beim Abbau von Beteiligungsrechten von Bürgern an Planungsverfahren. Auch dies deutet nicht in Richtung auf mehr Umwelt- und Naturschutz. "Schließlich gibt es in einigen Ländern auch ganz unverhohlen die Absicht, die Bundesgesetze abzuschwächen, wenn man nur die Möglichkeit dazu hätte", sagte BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm, "diese Möglichkeit schafft die geplante Föderalismusreform - zur Freude dieser Länder. Insgesamt muss man daher wohl leider davon ausgehen, dass die Länder von ihren Abweichungsrechten negativ Gebrauch machen werden: zu Lasten von Umwelt und Naturschutz."
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnte dringend davor, die Föderalismusreform zum vermeintlichen Prestigeobjekt der Großen Koalition zu stilisieren, das es um jeden Preis ohne Rücksicht auf sachliche Notwendigkeiten im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat zu bringen gilt. "Die nun vorliegende Begründung zum Gesetzentwurf bestätige mit ihrer eigenen Widersprüchlichkeit einmal mehr die Absurdität der geplanten Regelungen für den Umweltbereich. Verfassungsrechtliche Grundsätze scheinen keine Bedeutung mehr für die Große Koalition zu haben", so Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht bei der DUH. Ziehm wies insbesondere auch darauf hin, dass der jetzt vorgesehene zeitliche Aufschub der Abweichungsrechte der Länder bis 2009 lediglich Augenwischerei sei. "Es mache in der Sache keinen Unterschied, ob die Länder während der Erarbeitung eines Umweltgesetzbuches zwar nicht "stören" dürfen, aber nach dessen Fertigstellung munter anfangen können, von ihren umfangreichen Abweichungsrechten in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht Gebrauch zu machen." Ein Umweltgesetzbuch ist nur dann die Mühe wert, wenn es auch praktische Wirkung entfaltet und nicht durch den Erlass von Abweichungsgesetzen durch die Länder im Nachhinein "durchlöchert" und damit weitgehend obsolet wird. Ziehm bekräftigte in diesem Zusammenhang noch einmal die Forderung der Umweltverbände nach einem übergreifenden Kompetenztitel für den Umweltbereich.
Für Rückfragen: Dr. Helmut Röscheisen, DNR-Generalsekretär T.: 0228/ 35 90 05; mobil: 0160/ 97 209 108 Dr. Gerhard Timm, BUND-Geschäftsführer T.: 030/27 58 64-30, mobil: 0170 404 28 97 Jörg-Andreas Krüger, NABU-Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik T.: 030/284 984-24, mobil: 0173/600 43 64 Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), T.: 030/25 89 86-18, mobil: 0160/ 533 73 76
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