Deutsche Umwelthilfe fordert "grundlegende Änderungen" am Verbraucherinformationsgesetz
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Berlin (ots)
Regierungsfraktionen dürfen sich von Minister Seehofer nicht auf Klientelpolitik für die Wirtschaft verpflichten lassen - DUH verweist bei heutiger Ausschussanhörung auf offenen Widerspruch zu Aussagen im Koalitionsvertrag und erinnert an die Grundsatzkritik der so genannten Oettinger-Kommission - Mehr Transparenz für Verbraucher auch verfassungsrechtlich geboten
Das geplante Verbraucherinformationsgesetz (VIG) verstößt auf eklatante Weise gegen Leitsätze der Verbraucherpolitik, die die Große Koalition vor einem halben Jahr in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hatte. Darauf weist die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) anlässlich der Sachverständigenanhörung hin, die am heutigen (Montag) Nachmittag vor dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Bundestages stattfindet. In der Koalitionsvereinbarung hatten Union und SPD versichert, Verbraucherpolitik müsse "ein Gleichgewicht zwischen Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen suchen", Verbraucher und Wirtschaft sollten sich "auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen".
"Die Kluft zwischen Worten und Taten könnte größer kaum sein", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. "Wir müssen befürchten, dass das bestehende Kräfteungleichgewicht zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen und Behörden und Unternehmen auf der anderen Seite jetzt noch einmal gesetzlich festgeklopft werden soll. Die einen bleiben in ihrer Rolle als Transparenz einfordernde Bittsteller gefangen, die anderen entscheiden nach Gutsherrenart, ob sie Offenheit praktizieren wollen oder doch lieber täuschen, tarnen und verschweigen". Nach Gammelfleischskandal und Druckchemie in Kartonsäften sei der dem Bundestag vorliegende Gesetzentwurf "das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme".
Resch erinnerte daran, dass die vom Stuttgarter Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) berufene Verbraucherkommission Baden-Württemberg den vom Hause Seehofer erarbeiteten und von den Regierungsfraktionen eingebrachten VIG-Entwurf in einer einstimmig beschlossenen Stellungnahme fast gleich lautend kritisiert hatte wie die DUH. Das allein müsse den Abgeordneten von Union und SPD zu denken geben. Dies umso mehr als die Oettinger-Kommission auch ausdrücklich betont, dass Informationsungleichgewichte zwischen Anbietern und Verbrauchern zu überhöhten Preisen für schlechte Güter führten, während sich höherwertige Güter nicht zu angemessenen Preisen absetzen ließen. "Es muss Schluss damit sein, dass sich die Koalitionsfraktionen mit ´Formulierungshilfen´ aus dem Hause Seehofer auf eine Klientelpolitik für die Wirtschaft verpflichten lassen", so Resch.
Für die Deutsche Umwelthilfe wird die Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Cornelia Ziehm, den Gesetzentwurf bei der Bundestagsanhörung am Nachmittag analysieren. Im Ergebnis ist das geplante Gesetz nach Überzeugung der DUH "nicht geeignet, Transparenz herzustellen und die unstreitig bestehenden strukturellen Informationsasymmetrien zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beseitigen." Kritisch bewertet Ziehm insbesondere, dass nach dem Wortlaut des VIG-Entwurfs die Behörden nicht verpflichtet werden sollen, die Bevölkerung aktiv und von sich aus zum Beispiel über Funde belasteter Lebensmittel zu unterrichten. Auskunftsansprüche gegenüber privaten Unternehmen sind überhaupt nicht vorgesehen, obwohl gerade sie Ausdruck moderner und vertrauensbildender Verbraucherpolitik wären. Informationsbegehren gegenüber Landes- oder Bundesbehörden sollen zudem von vornherein auf einen engen Anwendungsbereich eingeschränkt werden, nämlich auf Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes (LFGB). Wie ein Transparenz-Verhinderungsgesetz erscheinen darüber hinaus die überaus weit reichenden Ausnahmetatbestände. So sollen etwa die Unternehmen - ohne jede inhaltliche Begründung - selbst bestimmen können, welche Daten unter das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis fallen und deshalb nicht zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies können sie sogar noch im Nachhinein tun, also nachdem sie von den Behörden über einen Auskunftsantrag aus der Bevölkerung unterrichtet wurden. Außerdem werden darüber hinaus "sonstige wettbewerbsrelevante Informationen, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb mit einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vergleichbar sind", von der Bekanntgabepflicht befreit. Damit gehen die Ausnahmetatbestände weit über diejenigen hinaus, die andere Informationsgesetze, wie beispielsweise das Umweltinformationsgesetz, zum berechtigten Schutz privater Unternehmen vorsehen. "Verfassungsrechtlich geboten ist das keineswegs. Im Gegenteil, auch das Bundesverfassungsgericht betont die Sicherung der Transparenz und des Informationszugangs im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates", so Ziehm.
Am Beispiel der Kontamination von Kartonsäften mit der Druckchemikalie ITX zeigt Ziehm konkret auf, dass das jetzt von Horst Seehofer und der Großen Koalition geplante VIG an der Informationsblockade der vergangenen Monate nichts ändern würde. Die DUH schlägt daher grundlegende Korrekturen an dem geplanten Entwurf vor. So müsse den Bürgerinnen und Bürgern, mindestens aber Verbraucherorganisationen ein gesetzlicher Informationsanspruch auch gegenüber privaten Unternehmen eingeräumt und der Anwendungsbereich des Gesetzes auf Produkte jenseits des Lebensmittelbereichs und auf Dienstleistungen ausgeweitet werden. Außerdem fordert die DUH eine an entsprechende Regelungen im bestehenden Umweltinformationsgesetz angelehnte restriktive Definition des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, um einem Missbrauch der geplanten offenen Regelung durch betroffene Unternehmen vorzubeugen.
(Die vollständige schriftliche Stellungnahme der DUH zur heutigen Bundestagsanhörung finden Sie im Anhang dieser Pressemitteilung).
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: Mobil.: 0171 3649170, Fax.: 030 258986-19, E-Mail: resch@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Fax.: 030 258986-19, Mobil: 0160 5337376, E-Mail: ziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Fax.: 030 258986-19, Mobil: 0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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