Föderalismusreform: Bundestag opfert Umweltstandards auf Altar der Koalitionsräson
Berlin (ots)
Deutsche Umwelthilfe beklagt nach Bundestagsentscheidung Missachtung des umweltpolitischen Sachverstands: "Augen zu und durch ersetzt noch keine Politik" - Länder können Umweltgesetzbuch, das erreichte Standards sichert, blockieren - Kernziel einer Halbierung im Bundesrat zustimmungspflichtiger Gesetze wird voraussichtlich nicht eingelöst
30. Juni 2006: Die Große Koalition hat die Föderalismusreform unter weitgehender Ignoranz des umweltpolitischen und umweltrechtlichen Sachverstands in Deutschland verabschiedet. Seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages von Union und SPD im November 2005 ging es nur noch sehr am Rande um die Suche nach besten Lösungen für eine unbestritten überfällige Reform. Es ging vielmehr und praktisch ausschließlich um den Nachweis der politischen Handlungsfähigkeit der Koalition. So lautet das Resumée der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) nach der Abstimmung über die Reform im Bundestag.
"Bund und Länder sind bereit, in Deutschland erreichte umweltpolitische Standards auf dem Altar der Koalitionsräson zu opfern. Vermeintliche übergeordnete politische Sachzwänge führen - nicht nur auf dem Feld des Umwelt- und Naturschutzes - zu unsinnigen Entscheidungen in der Sache. Die Umsetzung des Mottos ´Augen zu und durch´ ersetzt noch keine Politik.", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Vielmehr sei diese Form der Entscheidungsfindung, "der Humus, auf dem Politikverdrossenheit gedeiht". Das könnten die Koalitionäre schon jetzt jede Woche an den schrumpfenden Zustimmungswerten nachlesen. Der bis in die Regierungs- und Fraktionsspitzen verbreitete Glaube, nun kehre Ruhe ein an der Föderalismusfront, weil die von den Experten befürchteten negativen Folgen erst künftige Regierungen beschäftigen werde, sei eine Illusion.
Als Beispiel nannte Resch, das einheitliche Umweltgesetzbuch (UGB), das die Regierung unter Federführung des Bundesumweltministeriums nun bis zum Ende der Legislaturperiode auf den Weg bringen muss, weil danach die Abweichungsrechte der Länder greifen. Der Versuch, das mit der Föderalismusreform zusätzlich zersplitterte Umweltrecht über das UGB nachträglich zu vereinfachen, sei natürlich im Bundesrat zustimmungspflichtig. Resch: "Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen was passieren wird: Wenn der Umweltminister seiner ureigensten Aufgabe nachkommt und ein UGB vorlegt, das die erreichten Umweltstandards in Deutschland unangetastet lässt, reicht die einfache Mehrheit der Bundesländer, um ihn im Bundestagswahlkampf 2009 am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Sigmar Gabriel hat beste Chancen, als erster ausbaden zu müssen was die Koalition heute angerichtet hat."
Die Tatsache, dass im Verlauf der Aussprache im Bundestag führende Vertreter der Großen Koalition erneut behaupteten, dass die Föderalismusreform ihr Kernanliegen erfüllen und die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze halbieren werde, erfülle "entweder den Tatbestand der Volksverdummung oder ist Ausweis einer zunehmend um sich greifenden Selbstsuggestion", sagte die Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH, Cornelia Ziehm. Die Erwartung beruhe nämlich im Wesentlichen auf der inszenierten Fehlinterpretation einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages durch die Reformanhänger. In Wahrheit beruhe das Ergebnis des im Mai veröffentlichten Gutachtens auf unrealistischen Prämissen, die die Autoren der Ausarbeitung im Gegensatz zu deren Interpreten im Bundestag auch ausdrücklich benennen. Die Halbierung der Zustimmungsgesetze durch die beschlossene Grundgesetzänderung sei mehr als fraglich (siehe auch: "Föderalismusreform verfehlt ihr zentrales Anliegen", DUH-Hintergrund vom 16. Juni 2006 unter www.duh.de) Ziehm: "Auf derart wackeligen Füssen sollte kein Gesetzesvorhaben stehen, erst recht keine Verfassungsänderung."
Für Rückfragen
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: Mobil.: 0171 3649170, Fax.: 030 258986-19, E-Mail: resch@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Fax.: 030 258986-19, Mobil: 0160 5337376, E-Mail: ziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Fax.: 030 258986-19, Mobil: 0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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