Deutsche Umwelthilfe: "Aufbruch im Klimaschutz statt Demontage der Brüsseler Ratsbeschlüsse"
Berlin (ots)
Umweltorganisation kritisiert Fehlen konkreter Fortschritte im Klimaschutz - Klimaeffizienz von Kraftwerken und im Straßenverkehr in Deutschland und weltweit entscheidend - "Marshallplan" für Autoindustrie soll schnelle Wende zu klimaverträglicheren Pkw auslösen - Warnung vor "spezieller Begünstigung" von Braunkohlestrom durch die Bundesregierung
2. April 2007: Noch vor dem G8-Gipfel an der Ostsee muss Bundeskanzlerin Angela Merkel der Klimadebatte in Deutschland eine neue und konstruktive Richtung geben. Andernfalls drohen die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industriestaaten Anfang Juni in einem klimapolitisch handlungsunfähigen Gastgeberland zu tagen. Darauf haben in Berlin die Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) Rainer Baake und Jürgen Resch vor dem Hintergrund zahlreicher abwiegelnder Wortmeldungen aus Politik und Wirtschaft hingewiesen, die sämtlich gegen konkrete Schritte für einen wirksamen Klimaschutz in Deutschland gerichtet sind.
"Wer die Diskussionen der letzten Tage verfolgt, muss zu dem Schluss kommen, dass viele der derzeitigen Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik zu konkreten Weichenstellungen im Klimaschutz nicht willens sind. Das G8-Gastgeberland tut seit den Beschlüssen des Brüsseler EU-Gipfels, die weltweit als Aufbruchsignal im Klimaschutz verstanden worden waren, alles für ihre systematische Demontage. Die in Deutschland aktuell diskutierten Maßnahmen widersprechen in eklatanter Weise den Brüsseler Zielvorgaben. In zentralen Bereichen drohen sogar massive Rückschläge", erklärten Baake und Resch. Als Beispiele nannten die beiden DUH-Geschäftsführer die aktuellen Debatten über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie, den geplanten Bau dutzender neuer Kohlekraftwerke und die weitere Privilegierung klimaschädlicher Braunkohlekraftwerke bei der Zuteilung von CO2-Verschmutzungsrechten.
Vom neu gewählten VDA-Präsidenten Matthias Wissmann und seinen großen Mitgliedsunternehmen fordert die DUH ein öffentliches Bekenntnis zur Einhaltung der für 2008 verbindlich zugesagten Klimagasemissionen von Neufahrzeugen. "Wir erwarten von Wissmann, dass er die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilindustrie wieder herstellt, indem er seinen Mitgliedsbetrieben klar macht, dass sie das 140-Gramm-Ziel für 2008 einhalten müssen. Dies ist für uns Grundlage für Gespräche", sagte DUH Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Im Vergleich zu anderen europäischen Autobauern liegen die deutschen Autobauer mit 172,5 g CO2/km im Jahr 2006 besonders weit vom EU-Zielwert entfernt.
Die Zwischenbilanz nach drei Monaten intensiver Klimaschutzdiskussion in Deutschland sei deprimierend, erklärte Resch. Nirgendwo sonst in Europa werde so vehement die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen verlautbart - und gleichzeitig nichts getan. In anderen EU-Staaten gebe es dagegen konkrete Handlungsschritte. Sie schafften Anreize zum Kauf klimaverträglicherer Autos durch eine Mischung aus steuerlichen Anreizen und ausgezahlten Zuschüssen für besonders verbrauchsarme Pkw einerseits und hohe Strafsteuern für Klimakiller andererseits.
Während in Belgien, Frankreich, den Niederlanden oder Portugal mit Zuschüssen und Strafsteuern der Absatz Sprit sparender Pkw-Modelle befördert werde, scheitere in Deutschland schon die Einführung wirksamer Instrumente regelmäßig an der Lobbymacht der Autoindustrie. Auch die derzeit diskutierte Umstellung der hubraumbezogenen Kfz-Steuer auf CO2-Basis drohe zum Rohrkrepierer für den Klimaschutz zu werden, wenn sich das am Wochenende unter anderem von Wissmann favorisierte Modell eines linearen Verlaufs der CO2-Steuer durchsetze. Diese führe bei Motoren mit großem Hubraum sogar zu einer erheblichen Senkung der Kfz-Steuer gegenüber heute.
Resch wies darauf hin, dass ausgerechnet die von der deutschen Automobilindustrie als Klimaretter gefeierten neu zugelassenen Pkw mit Dieselmotor schon seit der Jahrtausendwende stetig steigende CO2-Durchschnittemissionen aufwiesen und 2006 erstmals sogar den Ausstoß der neu zugelassenen Benziner übertrafen. "Die Hersteller haben sich 1998 gegenüber der EU-Kommission zu einem Klimaziel von 140 g CO2/km verpflichtet und exakt im selben Jahr angefangen, mit schweren Luxusjeeps eine völlig neue Sprit schluckende Fahrzeugklasse zu entwickeln. Deren Motoren sind hauptsächlich dafür verantwortlich, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei neuen Diesel-Pkw nun sogar den der Benziner übertrifft", sagte der DUH-Geschäftsführer.
Für eine schnelle Trendumkehr stellte die DUH einen "Marshallplan" vor, der den Autobauern ermöglichen soll, ihre Klimaschutz-Zusagen einzuhalten und gleichzeitig den Herausforderungen des künftigen Weltmarkts gerecht zu werden. So sei das ehrgeizige Ziel, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß neu verkaufter Pkw bis Ende 2008 um 32,5 Gramm zu senken, noch zu erreichen. Mit dem vorgeschlagenen Bündel erprobter und im In- und Ausland bewährter rechtlicher Instrumente und Finanzanreize für den Verbraucher, mit "kreativen Aktionen" und schließlich einer aussagekräftigen Kennzeichnung von Spritfressern will die DUH ihren Beitrag zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und langfristigen Wirtschaftskraft deutscher Autobauer leisten.
Dazu startet die Umweltorganisation unter anderem eine bundesweite Kennzeichnung von "SUVs und anderen vorsintflutlichen Pkw" mit aus dem Internet herunterzuladenden Warnaufklebern ("Ich bin ein Klimakiller"), sie unterstützt eine aufwändige Verbraucherkampagne für den Kauf effizienter Pkw, die der Verkehrsclub Deutschland (VCD) in der kommenden Woche starten wird. Ein weiteres zentrales Element ist das Einwirken auf das Beschaffungswesen für Dienstwagen im öffentlichen Dienst sowie bei rund 3.000 Unternehmen. Der Staat soll unter anderem die CO2-unabhängige Subventionierung von Dienstwagen beenden und ein Werbeverbot für klimaschädliche Pkw mit mehr als 210 g CO2/km verhängen. Ein Tempolimit führe über den unmittelbaren CO2-Effekt hinaus auch zu einer veränderten Modellpolitik hin zu Sprit sparender Technik.
Mit größter Sorge beobachtet die DUH die sich in der Bundesregierung anbahnende Einigung über die künftige Zuteilung von CO2-Verschmutzungsrechten an Energiewirtschaft und Industrie. Ein in der Öffentlichkeit erst in Teilen bekanntes Eckpunktepapier des Kanzleramtes "beharrt nach unseren Informationen auf einer für den Klimaschutz in Deutschland desaströsen Förderung großer Braunkohlekraftwerke", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Ausgerechnet neue, mit dem mit Abstand klimaschädlichsten Brennstoff Braunkohle befeuerte Großkraftwerke sollen nach dem Papier von Kanzleramt-Chef de Maiziere eine "spezielle Begünstigung" erhalten. "Unter den Augen der klimaschutzbewegten Kanzlerin soll ausgerechnet die ineffizienteste und klimaschädlichste Form der Stromerzeugung gefördert werden", erklärte Baake. Stand der Technik sei es, eine Kilowattstunde fossil produzierten Stroms mit CO2-Emissionen von 365 Gramm zu erzeugen. Jetzt soll nach dem Willen des Kanzleramtes eine Technik gefördert werden, bei der zweieinhalbmal soviel CO2 emittiert wird. Ausdrücklich heißt es in dem Papier, dass an diesen Investitionsanreizen für die klimaschädlichste Kraftwerkstechnik "dauerhaft festgehalten" werden solle, "soweit es das europäische Recht zulässt".
Bei Umsetzung des Eckpunktepapiers würde sich die Zuteilung von Emissionsrechten an neue Braunkohlekraftwerke gegenüber dem Vorschlag des Bundesumweltministers von 750 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde Strom (g CO2/kWh) auf 900 g CO2/kWh erhöhen. Weil aber gleichzeitig die Gesamtmenge an Zertifikaten aufgrund der EU-Vorgaben festliege, müssten zum Beispiel wesentlich emissionsärmere Kraftwerke "entsprechend bluten."
Baake: "Wenn auch nur der größte Teil der gegenwärtig geplanten Kohlekraftwerke tatsächlich gebaut wird, dann entsteht über die nächsten 50 Jahre eine CO2-Last, die allen gerade beschlossenen EU-Zielen Hohn spricht. Dieselben Leute, die heute Kraftwerke mit den höchsten Klimalasten in den Markt drücken wollen, erzählen uns gleichzeitig, wir müssten aus Klimaschutzgründen die Laufzeiten der AKWs verlängern."
Als "Augenwischerei" bezeichnete Baake die in dem Kanzleramtspapier ebenfalls enthaltene Ankündigung einer "politischen Erklärung" zur noch in der Entwicklung befindlichen Technologie der Kohlendioxid-Abscheidung und Lagerung (Carbon Capture und Sequestration, CCS). Danach sollen CCS-Anlagen "künftig in den EU-weiten Emissionshandel einbezogen" werden, um Investitionsanreize zur Installierung dieser Technologie zu setzen. Baake erinnerte daran, dass alle derzeit geplanten Braun- und Steinkohlekraftwerke ans Netz geschaltet würden, bevor die CCS-Technik selbst nach den Prognosen ihrer Verfechter marktreif sei. "Die Bundesregierung hat kein Konzept, um die spätere Nachrüstung der Kohlekraftwerke mit der von ihr favorisierten Technik der Kohlendioxid-Abscheidung durchzusetzen", erklärte Baake. Eben deshalb habe die Deutsche Umwelthilfe kürzlich eine Befristung der Betriebsgenehmigungen für alle neuen Kohlekraftwerke gefordert. Verlängerungen sollen nur dann möglich sein, wenn die Betreiber später die dann verfügbaren Technologien zur Emissionsminderung einsetzten.
"Die von der Regierungszentrale geplante Förderung der mit Abstand klimaschädlichsten Stromerzeugungstechnik wird nur einen Effekt haben: Knuts Verwandten schmilzt weiter das Eis unter den Tatzen weg", schloss Baake.
Die beiden DUH-Geschäftsführer versicherten, dass ihre Organisation an einem konstruktiven Dialog zwischen Regierung und Industrie einerseits und Umweltorganisationen andererseits grundsätzlich großes Interesse habe. Allerdings müsse "wer mittel- und langfristige Ziele im Klimaschutz verkündet, jetzt die ersten Schritte in die richtige Richtung tun." Das sei jedoch derzeit weder im Stromsektor, noch im Straßenverkehr und auch nicht in anderen wichtigen Bereichen erkennbar".
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