"Gnade für Christian Klar macht den Staat souveräner." Der Leipziger Philosophie-Professor Christoph Türcke im Interview mit P.M. über Schuld, Sühne und Gerechtigkeit
Hamburg (ots)
8. Mai 2007 - Für einen Gnadenerlass des Bundespräsidenten zu Gunsten des Ex-Terroristen Christian Klar hat sich der renommierte Leipziger Philosoph Professor Christoph Türcke (58) in einem Gespräch mit dem Wissens-Magazin P.M. ausgesprochen. Die Zeitschrift veröffentlicht vorab Auszüge aus dem Interview:
Soll der Bundespräsident Terroristen Gnade erweisen? Macht das den Staat stärker oder schwächer? "Es würde den Staat souveräner machen, wenn der Bundespräsident den Gnadenakt vollzieht."
Was spricht dafür, Terroristen Gnade zu gewähren? "Zum Beispiel die Tatsache, dass die Mitglieder der RAF nicht einfach gemeine Kriminelle waren. Der gemeine Kriminelle begeht einen Raubmord, um sich selbst zu bereichern. Die Mitglieder der RAF sind dagegen mit einem hochmoralischen Anspruch angetreten: Sie wollten eine bestimmte Gesellschaftsordnung, die sie als unmenschlich empfanden, beseitigen. Aber diese Ungerechtigkeit, die sie wahrgenommen haben, hat sie selbst zu ganz großen Unverhältnismäßigkeiten getrieben: Sie glaubten, dass man durch einen so genannten bewaffneten Kampf die Bevölkerung hinter sich bringen und die Gesellschaft verändern kann. Ihre Taten waren nicht kriminell motiviert, sondern politisch."
Dem Opfer ist es egal, ob es von einem Bankräuber oder einem Terroristen ermordet wird. Mord ist Mord - oder? Nein, Mord ist nicht gleich Mord. Schauen Sie sich den 20. Juli 1944 an. Es hat zufällig nicht geklappt, dass Hitler an diesem Tag getötet wurde. Die so genannten Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg stehen heutzutage bei uns in hohem Ansehen.
Aber wir können den geplanten Mord an Hitler doch nicht vergleichen mit den ausgeführten Morden an Ponto, Buback oder Schleyer. Es liegt mir fern, das auf eine Ebene zu stellen. Objektiv ist das nicht vergleichbar. Aber was die subjektive Motivation betrifft, gibt es eine Übereinstimmung: Beide Male ist in dem Glauben gehandelt worden, dass die Gesellschaft durch den Mord besser wird.
Wie wäre unsere Gesellschaft beschaffen, wenn es keine Gnade gäbe? Eine gnadenlose Welt ist eine Maschinenwelt. Da gibt es keine Ausnahmen. Die Ausnahme ist nur der Versager: die Maschine, die nicht mehr läuft. Im Zusammenleben der Menschen ist Gnade grundsätzlich notwendig. Sogar im Alltagsleben geht es nicht ohne Miniaturen der Gnade. Man muss Nachsicht üben mit den anderen. Nachsicht ist die alltägliche Vorform der Gnade. Ohne Nachsicht kann menschliches Miteinander nicht funktionieren, weil wir alle Fehler machen und der Nachsicht bedürfen. Würden wir immer nur Recht walten lassen und keine Gnade, wäre unsere Welt grausam, eiskalt und inhuman.
Das Interview mit Professor Christoph Türcke führte P.M.-Autor Michael Kneissler. Das vollständige Gespräch erscheint in der Juni-Ausgabe des P.M. Magazain (ab 18. Mai im Handel).
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