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Der Tagesspiegel: Trittin wirft Clement im Streit um den Klimaschutz „Politik der Strukturbewahrung“ vor

Berlin (ots)

Umweltminister Trittin (Grüne) wirft
Wirtschaftsminister Clement (SPD) vor, im Streit um den Klimaschutz
eine „Politik der Strukturbewahrung“ betrieben zu haben. Dabei stehe
er in seiner Partei „sonst auf der Seite derer, die Strukturen
verändern wol- len“. Den Kompromiss im Streit um den Zuteilungsplan
für den Emissionshandel bezeichnete Trittin als „schwierig aber
vertretbar“. „Dass ich mit den Zahlen nicht zufrieden bin, daraus
habe ich keinen Hehl gemacht“, sagte er dem Tagesspiegel. Trittin
rechnet damit, dass die Industrie „2010 viele Zertifikate über haben
wird“. Er erwarte weiterhin, dass die Industrie ihre Klima-
Selbstverpflichtung auch einhalte.
Im folgenden finden Sie das vollständige Interview:
Die Verhandlungen um den Zuteilungsplan für den Emissionshandel
erinnern an Tarifverhandlungen. War es so harmlos, oder stand die
Koalition auf der Kippe? Beide Seiten sind an die Grenzen dessen
gegangen, was man erreichen kann. Dafür spricht auch die Dauer der
Verhandlungen. Das Ergebnis ist ein schwieriger Kompromiss, der aber
vertretbar ist.
Es hat so lange gedauert, weil es so ernst war? Es ging um einen
Grundsatzkonflikt. Wollen wir die Politik der ökologischen Erneuerung
fortsetzen? Oder zurückfallen in eine Politik der Strukturbewahrung.
Für die SPD war das ein noch größeres Problem. Wirtschaftsminister
Wolfgang Clement steht in der Partei ja sonst auf der Seite derer,
die Strukturen verändern wollen. Ich bin froh, dass die Architektur
des Kompromisses stimmt. Dass ich mit den Zahlen nicht zufrieden bin,
daraus habe ich keinen Hehl gemacht.
Ist die Ökologie auf dem Rückzug? Der Emissionshandel wird dazu
führen, dass wir einen beachtlichen Anreiz haben, alte Kraftwerke
stillzulegen. Das meine ich mit der richtigen Architektur. Nach
diesen Regeln sind die Klimaschutz- Ziele, zu denen sich Deutschland
im Kyoto-Protokoll verpflichtet hat, erreichbar.
Was macht Sie da so optimistisch? Der Umstand, dass von 2008 an
alle alten Möhren 15 Prozent ihrer Kohlendi-oxid-Emissionen
reduzieren müssen. Wenn Sie zehn davon haben, können Sie eine gleich
stilllegen. Oder Sie investieren in eine neue Anlage. Der Einstieg in
den Emissionshandel geht nicht so schnell und liegt unter dem, was
die Industrie selbst zugesagt hat. Das ist unbestritten. Aber für uns
sind eine attraktive Übertragungsregel und eine
Modernisierungsklausel der Schlüssel zum Problem.
Ärgert es Sie, dass Wolfgang Clement nun als der Sieger dasteht?
Da kann ich nur Mick Jagger zitieren: Wer liest schon die Zeitungen
von gestern? Diese Erfahrung habe ich in den vergangenen vier Jahren
gemacht. Es zählt das, was am Ende einer Wahlperiode steht. Über
Wolfgang Clement ist das Gleiche geschrieben worden in der
Auseinandersetzung um das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Das ist ganz anders ausgegangen. Da sehen Sie sich als Sieger? Das
sind nicht meine Kategorien. Wahrscheinlich wird der Wähler das am
Ende zu beurteilen haben, und das ist 2006.
Der Wirtschaftsminister hat in der Auseinandersetzung angedeutet,
dass er bei einem an-deren Ergebnis womöglich zurückgetreten wäre. Wo
liegt Ihre Schmerzgrenze? Wenn ich einen Kompromiss nicht für
vertretbar halte, trage ich ihn nicht mit. Das ist ganz einfach.
Sie haben gesagt, wenn die Wirtschaft einen geringeren Anteil an
Emissionsreduktionen erbringt, dann müssten die Haushalte und der
Verkehr mehr Kohlendioxid (CO2) vermeiden. Inzwischen halten sie das
nicht mehr für nötig. Warum haben Sie den Strteit denn dann überhaupt
geführt? Ich habe nur darauf verwiesen, dass mit der Einführung des
Emissionshandels der Zustand beendet wird, dass Verkehr, Haushalte,
Dienstleistungsbranche und Industrie ihren Kohlendioxid-Ausstoß
vermindern, nicht aber die Energiewirtschaft. Dass Haushalte und
Autofahrer die Emissionssteigerungen der Energiewirtschaft
ausgeglichen haben, ist nicht das Ergebnis von Business- as-usual,
sondern politischen Handelns. Dazu gehören die Ökosteuer, die
Energieeinsparverordnung, das CO2-Modernisierungsprogramm und bald
auch die Maut. Unter diesen Bedingungen ist das Ziel erreichbar. Aber
nur dann, wenn die Industrie ihre zehn Millionen Tonnen CO2
vermindert. Damit sind wir an der Kante, aber an einer erreichbaren
Kante.
War es die Auseinandersetzung wert? Ich suche mir
Auseinandersetzungen doch nicht aus.
Aber Sie führen sie… Wir haben eine EU-Richtlinie, die haben wir
durchzusetzen.
Sie hätten gleich einen Zuteilungsplan vorlegen können, der die
Industrie weniger fordert. Es war ja so: Alle wollten möglichst viel
haben. Es ging um die Verteilung von Geld; Emissionszertifikate sind
bares Geld wert. Wir werden, da der Preis nicht in den Himmel
schießen wird, einen Wert von rund 2,5 Milliarden Euro verteilen.
Dass es den Wunsch gibt, davon möglichst viel zu bekommen, ist nicht
verwunderlich.
Offenbar ist es schwer, in der Rezession das Thema zu vertreten.
Es ging in der Debatte nie ums Klima, sondern um Arbeitsplätze. Es
ging darum, dass diejenigen, die nach Zertifikaten gierten, ihr
egoistisches Interesse korporatistisch verbrämt durch eine Lobby-
Gruppe als Sorge um Arbeitsplätze ausgegeben und mit der Drohung,
Produktionsstätten zu verlagern, auch die Betriebsräte auf ihre Seite
gezogen haben. Aber das muss man nicht wörtlich nehmen.
Sie haben mit dem Klimakompromiss die Wirtschaft aus ihrer
Selbstverpflichtung entlassen. Das finde ich eine interessante
Interpretation.
Die Wirtschaft hat versprochen, ihren CO2-Ausstoß bis 2010 um 45
Millionen Tonnen zu vermindern. Der Emissionshandel verpflichtet sie
nur zu zehn Millionen Tonnen. Die Wirtschaft hat stets betont, dass
sie diese Selbstverpflichtung einhalten wird. Sie wird also im Jahr
2010 sehr viele Zertifikate über haben – in der Größenordnung von 25
Millionen Tonnen. Ich gehe davon aus, dass wenn der Vorsitzende des
Bundesverbands der deutschen Industrie Michael Rogowski etwas
unterschreibt, er das dann auch erfüllt.
Bei privaten Haushalten und Verkehr gibt es starke Zweifel, ob es
reicht, die CO2-Emissionen um sieben Millionen Tonnen zu reduzieren.
Experten sagen, dass Temperaturschwankungen berü cksichtigt werden
müssen.
Wir haben in diesen Bereichen einen Trend über mehrere sehr
unterschiedliche Jahre. Dieser Trend zeigt seit 1999 dank unserer
Klimaschutzpolitik nach unten. Wir brauchen die Ökosteuer, die Maut,
das CO2-Modernisierungsprogramm, die Energieeinsparverordnung und
das Stromsparen bei den Endgeräten, wenn wir das Ziel erreichen
wollen
Wann müsste die Maut in Kraft treten, damit das noch klappt? Na,
möglichst schnell.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-389
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email: thomas.wurster@tagesspiegel.de

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