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Der Tagesspiegel: Thierse warnt vor zu großen Erwartungen an große Koalition "Nationale Politik für Arbeitsplätze nur eingeschränkt wirksam"
Gegen Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei Kultur

Berlin (ots)

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse warnt vor zu hohen 
Erwartungen an eine große Koalition. Dem Berliner "Tagesspiegel am 
Sonntag" sagte Thierse, neben der Vereinbarung von klaren Projekten 
sollte man "von Beginn an klar machen, dass Politik keine Wunder 
vollbringen kann. Man muss auch über die Grenzen von Politik 
sprechen." Zudem forderte Thierse beide Seiten - Union wie SPD - auf:
"An Stelle der Unkultur der wechselseitigen Vorwürfe muss eine starke
gemeinsame Basis des Vertrauens und der gemeinsamen politischen 
Projekte erarbeitet werden."
Angesichts der Äußerung der designierten Kanzlerin Angela Merkel, 
eine große Koalition müsse sich daran messen lassen, wie weit sie die
Arbeitslosigkeit abbaue, mahnte Thierse zu Vorsicht: Er plädiere 
dafür, "nicht wieder die nächsten Heilsversprechen abzugeben, sondern
nüchtern auf eine fundamentale Veränderung der Bedingungen von 
Politik hinzuweisen". Das politische Geschehen habe sich von der 
nationalen auf die europäische Ebene verlagert. In einer 
globalisierten Welt könne "nationalstaatliche Politik für 
Arbeitsplätze nur sehr eingeschränkt wirksam sein". Deshalb gehe es 
in den Koalitionsverhandlungen auch darum, wie man gemeinsame 
europäische Politik auf den wichtigsten Feldern, also Wirtschaft, 
Finanzen, Steuern und dem Sozialen erreichen kann, um die unselige 
Konkurrenz zwischen den nationalen Wirtschaften zu relativieren. "Das
ist derzeit noch kontrovers", sagte Thierse.
Zur Steuerpolitik sagte Thierse, "gegenwärtig bleibt das 
Hauptargument gegen die höhere Mehrwertsteuer gültig: Sie verteuert 
die Waren und stört damit die Binnennachfrage, und das ist ja die 
eigentliche Schwäche. Also wird man darüber allenfalls in einem sehr 
großen und fundamentalen Zusammenhang reden können." In den 
Koalitionsverhandlungen will Thierse zusammen mit Bundestagspräsident
Norbert Lammert (die beiden leiten die Arbeitsgruppe Kulturpolitik) 
erreichen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Kulturausgaben 
nicht angehoben wird.
Skeptisch, aber nicht ablehnend äußerte sich Thierse zum Vorstoß 
von Lammert, die Kontrolle der Parteifinanzen - die dem 
Bundestagspräsidenten obliegt - anders zu ordnen. "Bisher ist es 
nicht gelungen, es anders zu organisieren. Mal sehen, ob es Herrn 
Lammert gelingt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sich künftig 
eine beim Bundespräsidenten angesiedelte Kommission oder Institution 
um die Kontrolle der Parteifinanzen kümmert."
Zu Lammerts Vorstoß für eine Leitkulturdebatte sagte Thierse: "Ich
halte den Begriff für problematisch, auch polemisch besetzt. Aber die
Debatte darüber, was diese Gesellschaft zusammenhält in ihren 
gegensätzlichen Interessen und sozialen Strukturen, die ist immer 
wieder notwendig." Daher sei auch die Diskussion über einen 
Bildungskanon nichts Konservatives oder Reaktionäres, sondern etwas 
Selbstverständliches. "Ich bin aber nicht sicher, ob der Begriff 
Leitkultur das meint." Man dürfe sich "nicht dem Verdacht aussetzen, 
dass in Zeiten härtester Konkurrenz, die wir Globalisierung nennen, 
sozusagen ein moralischer und emotionaler Kitt nötig ist, als 
Ausgleich für die Brutalität des Ökonomischen. Eine Leitkultur, die 
nur für abhängig Beschäftigte gilt, nicht für die Unternehmen, ist 
zum Scheitern verurteilt."
Zu seinem schlechten Ergebnis bei der Wahl zum 
Bundestagsvizepräsidenten  sagte Thierse: "Wenn so viele 
SPD-Abgeordnete Frau Merkel bei der Kanzlerwahl die Stimme 
verweigern, wie Unions-Abgeordnete mich nicht gewählt haben, dann ist
Frau Merkel gescheitert." Das sei keine Drohung, sondern "das 
Ergebnis nüchterner Rechnung. Jedenfalls ist das Abstimmungsverhalten
der Kollegen der Union kein Schritt zu mehr wechselseitigem 
Vertrauen."

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
thomas.wurster@tagesspiegel.de

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