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Der Tagesspiegel: Ohne den nötigen Ernst

Berlin (ots)

Die Flitterwochen sind längst vorbei und dagegen
ist nichts einzuwenden. Doch die politischen Akteure der großem 
Regierungskoalition führen ein seltsames Schauspiel vor: Wo der 
Übergang zur handfesten Arbeit - Gesundheit, Föderalismus, 
Unternehmensteuerreform - fällig und vielleicht auch Krach vonnöten 
wäre, macht sich dieses Zweckbündnis auf den Weg zurück. Die 
Koalition führt nicht Szenen einer Ehe auf, sie probt den Rückfall in
die Pubertät. Formal zankt man um Hartz IV. Das ist kein Zufall. Denn
Hartz IV ist ein in gewisser Weise erlaubter Streitfall, für den 
weder die Koalitionsdisziplin noch die Loyalität zur Bundeskanzlerin 
so richtig geltend gemacht werden können. Das Thema hat seinen 
Ursprung vor der gemeinsamen Zeit und fällt damit nicht zwingend in 
die Rubrik der gemeinsamen Verantwortung. Jedenfalls kann man vor dem
großen Publikum versuchsweise diesen falschen Schein erwecken. Die 
Union, und  allen voran ihre starke Länderfront, führt sich also als 
eine Opposition auf, die sie schon damals nicht wirklich war. Wer 
hier kritisiert, zielt direkt auf die Bundeskanzlerin, die den 
Kompromiss ausgehandelt hat. Deshalb ist Hartz IV zum Stoff für eine 
Seelenkrise der Union geworden. Der Streit dreht sich in Wahrheit um 
die Frage, ob sie denn wirklich sein musste, die Sache mit der großen
Koalition. Die SPD, die ihrerseits von Januar bis März ein ähnliches 
Psychodrama ausgelebt hat, gefällt sich nun in einer ungewohnten 
Rolle. Sie gibt die erprobte Regierungspartei, die der verspielten 
Union den nötigen Ernst abverlangt.  Deshalb scheint die SPD nur 
stark; im Ernstfall ist sie nicht die Klügere, die Regieren kann, wo 
andere noch üben. Und der Ernstfall steht nun wirklich dringend auf 
der Tagesordnung: Gesundheit, Föderalismus, Unternehmenssteuer. Das 
Schwarze-Peter-Spiel um Hartz IV ist alles andere als harmlos für die
große Koalition. Sie muss in den nächsten Wochen den Beweis dafür 
antreten, dass sie in gemeinsamer Verantwortung Reformen durchsetzen 
kann, die der inszenierte Streit von Union und SPD jahrelang 
blockiert oder erschwert hat.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Meinung, Telefon 030-26009-444
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622 
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