Börsen-Zeitung: Europa kehrt zurück Kommentar zur Einigung der EU-Staaten auf einen Reformvertrag für die Gemeinschaft, von Christof Roche.
Frankfurt (ots)
Es ist vollbracht, Europa gewinnt seine politische Strahlkraft zurück. Mehr als zwei Jahre lag die Staatengemeinschaft im Koma, jetzt hat sie sich wieder Leben eingehaucht. Auch wenn die nüchterne Reload-Version der Verfassung auf Europa-Flagge, Hymne und Titel verzichtet, ist die Einigung in Lissabon dennoch ein Meilenstein. Nie zuvor haben die Mitgliedstaaten auf einen Schlag soviel Souveränität abgegeben. Die deutsche Vorarbeit - im Juni war unter EU-Ratspräsidentin Angela Merkel der Durchbruch erzielt worden - hat sich gelohnt, selbst wenn Lissabon sich mit dem Vertragswerk nun verewigen wird.
Die deutsche Kanzlerin wird dies verschmerzen, im Tausch für ein Europa, das mit der Streichung von Vetorechten und der stärkeren Einbindung des Parlaments mehr Demokratie und straffere Handlungsabläufe erhält. Vor allem aber bekommt Europa in der 50-jährigen Geschichte erstmals einen Präsidenten, der nicht an die kurzatmige Rotation der einzelstaatlichen Vorsitze gekoppelt ist. Zusammen mit dem neuen Außenminister, der zwar anders heißt, wird der Außenauftritt so konzentriert, dass die EU im Kampf gegen den internationalen Terror, zur Sicherung der Energieversorgung und zur Wahrung der Interessen in einer globalisierten Welt geschlossen agieren kann. Wie überfällig dies ist, zeigt die Selbstverständlichkeit Chinas, auf einem offenen EU-Markt zu agieren, während Peking im Gegenzug dicht macht und europäischen Firmen Milliarden-Geschäfte vorenthält. Oder die Vorliebe Moskaus, zwischendurch mal den Gashahn zuzudrehen. Europa hat mit Lissabon den Weg für einen Paradigmenwechsel freigemacht, um auf solche Ungleichgewichte mit der gesamten ökonomischen und politischen Macht von knapp 500 Millionen Bürgern zu kontern.
Voraussetzung aber ist, dass der Ratifizierungsprozess der EU keinen Strich durch die Rechnung macht. In der Pflicht sind vor allem das britische Parlament und Premier Gordon Brown. London hat mit der Einigung in Portugals Hauptstadt zahlreiche Sonderwünsche durchgesetzt, dies muss Großbritannien mit der schnellen Ratifizierung zurückzahlen. Nur dann - und ohne ein Referendum - werden die Niederlande, Dänemark und Polen bei der Stange bleiben. Und erst dann, wenn der Reformvertrag Anfang 2009 in Kraft tritt, hat Europa seine Verfassungskrise endgültig hinter sich gelassen.
(Börsen-Zeitung, 20.10.2007)
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