Börsen-Zeitung: Falsche Diagnose, Kommentar von Stefanie Schulte zur erneuten Flutung der Märkte durch die US-Notenbank mit 600 Mrd. Dollar
Frankfurt (ots)
Mit einer erneuten Infusion von 600 Mrd. Dollar will die Notenbank Federal Reserve der Patientin US-Konjunktur auf die Beine helfen, nachdem diese in den vergangenen Monaten beunruhigende Schwächesymptome gezeigt hatte. Ob die Therapie anschlägt, ist freilich zweifelhaft. Sie könnte daran scheitern, dass die Notenbank die falsche Diagnose gestellt hat. Litte die Kranke wirklich an Liquiditätsmangel, wie die Fed unterstellt, müsste eines der Symptome sein, dass Unternehmen verzweifelt expandieren wollen, aber kein günstiges Fremdkapital finden. Tatsächlich aber sitzt die Industrie auf ungenutzten Kapazitäten von mehr als einem Viertel und sieht daher wenig Anlass für eine kreditfinanzierte Expansion.
Das Gebrechen müsste sich ferner darin äußern, dass Anleiheemittenten am Markt keine Käufer finden. In Wahrheit stürzen sich Investoren auf jede Bond-Emission und ermöglichten es zuletzt Wal-Mart, sich für drei Jahre zum Schnäppchenpreis von 0,75% zu refinanzieren. Wenn Liquidität der limitierende Faktor für die Konjunktur wäre, müssten zudem Konsumenten ihre Ersparnisse geplündert haben und die Banken um billiges Geld anflehen. Doch stattdessen sind sie in Schockstarre verfallen, besorgt um den Arbeitsmarkt und die weitere Konjunkturentwicklung. Ihre Sparquote haben sie seit 2007 mehr als verdoppelt.
Obwohl all diese Faktoren darauf hindeuten, dass das milliardenschwere Rückkaufprogramm für Staatsanleihen die meisten seiner Ziele verfehlen wird, dürfte es zumindest einen expansiven Effekt haben: Es dürfte Marktteilnehmer dazu anregen, das billige Geld für kurzfristige Spekulationsgeschäfte zu nutzen. Dies könnte den Handelsergebnissen der großen Wall-Street-Banken, die in den vergangenen sechs Monaten deutlich rückläufig waren, kurzfristig wieder auf die Sprünge helfen. Längerfristig droht aber ein Rückfall, falls zu viele der riskanten Geschäfte fehlschlagen und zu erneuter Verunsicherung am Kapitalmarkt und in der Gesamtwirtschaft führen.
Zyniker werden der Fed unterstellen, sie habe das neue geldpolitische Entspannungsprogramm vor allem deswegen aufgelegt, um den Banken zu helfen, deren Wohlergehen ihr schon immer besonders am Herzen gelegen habe. Aber auch als unerwünschte Nebenwirkung wären neue Spekulationsexzesse der Heilung wenig zuträglich.
(Börsen-Zeitung, 4.11.2010)
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