Börsen-Zeitung: Teuer erkaufte Kapitalstärke, Kommentar zum Euro-Gipfel von Bernd Wittkowski
Frankfurt (ots)
Na also, hat doch gar nicht wehgetan, der kleine Schuldenschnitt, gegen den sich die Banken so lange gewehrt hatten. Nun wurden sie von den Regierungschefs der Eurozone mit "einem einzigen Angebot", das zugleich das "letzte Wort" war (so Angela Merkel), dazu gefreiwilligt - wie die Politiker zuvor schon die Europäische Zentralbank (EZB) zur freiwilligen Fortsetzung ihrer "unkonventionellen" Maßnahmen, darunter der Kauf von Staatsanleihen, weichgekocht hatten. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, als Vorsitzender des Institute of International Finance (IIF) zugleich oberster Lobbyist der weltweiten Finanzbranche, zeigt sich "sehr zufrieden mit der erreichten Einigung", landauf, landab - Ausnahme: Griechenland - wird versichert, die Institute seien zur notwendigen Rekapitalisierung nicht auf Staatshilfe angewiesen, und Bankaktien gehen geradezu durch die Decke.
Das Mitleid mit dem Kreditgewerbe ob des Forderungsverzichts von 100 Mrd. Euro, der mit einer 30 Mrd. Euro schweren Teilgarantie für die im Tausch angebotenen neuen Anleihen versüßt wird, hält sich in Grenzen. Nicht allein wegen der schon etwas abgedroschenen Binsenwahrheit, dass es - will man die Banken-, Marktwirtschafts- und irgendwann noch die Demokratieverdrossenheit nicht auf die Spitze treiben - auf Dauer nicht angehen kann, Gewinne und Boni privat zu kassieren, für Verluste aber die Allgemeinheit haften zu lassen. Sondern schon deshalb, weil seriöse Banken jeden Kleinanleger über den Zusammenhang von Rendite und Risiko aufklären. Aber sie selbst wollen ernsthaft geglaubt haben, es gebe risikolose Investments, Staatsanleihen eben, nur weil Politik und Aufsicht generös auf eine Eigenkapitalunterlegung verzichteten?
Leider sind wir pleite
Diese weltfremde Regulierung enthebt Gläubiger nicht der Pflicht, ihre Schuldner eigenverantwortlich - das heißt auch: ohne blindes Vertrauen auf Ratingagenturen - auf Herz und Nieren zu prüfen. Dann hätte etwa den volkswirtschaftlichen Abteilungen schon vor Jahren auffallen sollen, dass etwas faul ist (nicht nur) im Staate Griechenland. Es mangelt ja auch nicht an historischen Erfahrungen: zum Beispiel Island 2008, Argentinien 2002, Russland 1998 - oder Griechenland 1893. Ministerpräsident Charilaos Trikoupis, ein Vorgänger von Giorgos Papandreou, ging damals recht freimütig mit dem Tatbestand um: "Leider sind wir pleite", sagte er im Parlament.
An einer (weiteren) Teilverstaatlichung sind die allermeisten der von der EU-Aufsicht EBA stressgetesteten Banken vorbeigeschrammt. Wie es aussieht, stehen nur die bis zur Halskrause in Anleihen ihres Landes engagierten griechischen Institute vor der Nationalisierung - wiewohl in Hellas eher Privatisierung angesagt sein sollte. Den großen Banken in anderen Ländern hilft, dass sie Kursgewinne etwa von Bundesanleihen mit dem Wertberichtigungsbedarf auf ihr Exposure in der Euro-Peripherie verrechnen dürfen, obgleich auch der Bund seine Schulden nur zum Nennwert zurückzahlen wird (was man jedenfalls hoffen darf). Von diesem in einer Marktwertbetrachtung legitimen Bilanzierungskniff abgesehen, zeugt der von der EBA ermittelte Kapitalbedarf von "nur" 106 Mrd. Euro, davon lediglich gut 5 Mrd. Euro für die Commerzbank und drei weitere deutsche Häuser, aber durchaus auch von einer erheblichen Kapitalkraft und hoher Krisenresistenz der Branche.
Bankgeschäft umgekrempelt
Diese Stärke und Widerstandsfähigkeit wurden freilich schon vor dem Euro-Gipfel teuer erkauft, und nach den Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs wird noch eine umso höhere Rechnung zu bezahlen sein - nicht nur von den Banken selbst, sondern womöglich von den Volkswirtschaften insgesamt. Insofern wird das Paket, das um 3:23 Uhr am Donnerstagmorgen geschnürt war, das Bankgeschäft, das seit Beginn der Finanzkrise ohnehin umgekrempelt wird, weiter radikal verändern - und vermutlich nicht nur das Bankgeschäft.
Die jetzt nachgewiesene relativ komfortable Ausstattung der Banken mit hartem Kernkapital rührt ja nicht unbedingt daher, dass Anleger nach ihren leidvollen Erfahrungen mit Investments in Bankaktien darauf erpicht gewesen wären, schlechtem Geld noch gutes hinterherzuwerfen. Ursache der Robustheit ist - neben Gewinnthesaurierung - vielmehr vor allem, dass das Gros des Kreditgewerbes seine Risikoaktiva drastisch zurückgefahren, Assets verkauft und Aktivitäten aufgegeben hat und erklärtermaßen beabsichtigt, diesen Weg weiterzugehen.
Das ist gut so, soweit dadurch die immer noch reichlich vorhandene heiße Luft aus den Bilanzen gelassen wird. Es ist auch nicht zwingend von Übel, wenn die Redimensionierung auf einen weiteren Rückzug von Banken aus der Staatsfinanzierung hinausläuft, weil dies hoffentlich eine erzieherische Wirkung auf die öffentlichen Schuldner entfalten wird - zumindest in Gestalt risikoadäquaterer Konditionen. Alles andere als wünschenswert wäre es hingegen, sollten die spürbar hochgeschraubten Eigenkapitalanforderungen die Kreditversorgung der Realwirtschaft merklich beeinträchtigen.
Jenseits der Folgen für Wachstum und Beschäftigung im Allgemeinen dürfte das Entstehen einer Kreditklemme auch für die jetzt noch privat gebliebenen Banken weitere Konsequenzen haben. Die Staaten würden die Finanzierungsaufgabe nämlich verstärkt über eigene Vehikel wahrnehmen - "KfW & Co., übernehmen Sie". Das europäische Kreditwesen, das in den nächsten Jahren sowieso auf vielfache Weise unvermindert am Tropf der EZB hängen wird, ist einer weiteren Verstaatlichung näher, als es nach dem Euro-Gipfel auf den ersten Blick scheinen mag.
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