Börsen-Zeitung: Geld gilt wieder, Kommentar zur EZB-Sitzung in Brüssel von Christian Burckhardt
Frankfurt (ots)
Die obersten Euro-Hüter ähneln derzeit den Wächtern vor einer Bank, die sich aufmunternd Wir sind wachsam, wachsam, wachsam! zurufen, während tief unter ihnen Gangster bereits einen Tunnel in Richtung Tresorraum vorantreiben. Seit Frühsommer identifizieren die 18 Euro- Notenbanker an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar Gefahren für die Preisstabilität und warnen davor, wie gestern wieder nach ihrer Sitzung in Brüssel, doch Entschlossenheit zum Handeln zur Anhebung des historischen niedrigen Leitzinses von 2% lassen sie noch immer nicht erkennen. Sie tun sich schwer mit der Zinswende, die andere Notenbanken bereits vollzogen haben.
Jetzt lässt sie die Sorge vor einem längeren Ölpreisboom anders als noch im September an der Stärke des Konjunkturaufschwungs im Jahr 2005 zweifeln. Aber von dieser Stärke hängt nur zum Teil ab, wie sehr sich der Preisauftrieb beschleunigen kann. Die Geldpolitiker sollten gerade jetzt der Menge des Geldes als wichtiger Quelle und als Signal für mehr Inflation großes Gewicht beimessen. Dank ihrer expansiven Politik gibt es seit mehr als zwei Jahren überreichlich Geld in Euroland, was Anleger bereits zu riskanteren Engagements verleitet.
Diese Geldschwemme erachten die EZB-Räte zu Recht als Risiko, messen ihm aber zu wenig Gewicht bei, obwohl sie das Potenzial hat, die Preise für Konsumgüter und auch Vermögenswerte beträchtlich anzuheizen. Wenn (1.) Überschussliquidität besteht und (2.) die Geldnachfrage nach wie vor stabil ist, folgt (3.): Im Laufe der nächsten 2/3 Jahre, also zeitverzögert, entsteht Inflationsdruck. Dieser Druck könnte zum einen gedämpft werden, sollte das Wachstum im Zeitraum 2005/6 deutlich nachlassen, doch das erwartet derzeit kaum ein Prognostiker. Zum anderen könnte der größte Teil der Überschussliquidität von kurz- in langfristige Anlagen umgeschichtet werden, also nicht direkt konsum- und somit preistreibend wirken. Darauf allerdings voll zu setzen, wäre sehr riskant. Schließlich ist die zeitverzögerte Inflationsbeschleunigung infolge von Überliquidität bei hinreichendem Wachstum historisch gut belegt und darf deshalb nicht leichtfertig ignoriert werden.
Die Chance, dass die Teuerungsrate in den nächsten Jahren unterhalb der EZB-Stabilitätsnorm von knapp 2% bleibt, muss also alles in allem deutlich geringer eingeschätzt werden als das Risiko einer deutlichen Überschreitung dieser Marke. Wenn die Euro-Räte mit ihrem vorrangigen Mandat der Inflationskontrolle sich zudem an das Prinzip in dubio pro Preisstabilität halten und wenn für sie wirklich money matters, kann ihre Devise nur sein: Vorsorglich raufgehen mit den Zinsen.
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