Börsen-Zeitung: Zum Abschuss freigegeben?, Kommentar von Bernd Wittkowski zu den Forderungen einiger Politiker nach einem Rücktritt des BaFin-Präsidenten Jochen Sanio
Frankfurt (ots)
Erst schießen, dann fragen: Nach diesem Motto scheinen einige Politiker den mutmaßlichen Untreuefall bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erledigen zu wollen - und deren Präsidenten Jochen Sanio gleich mit. Was nach dem Bekanntwerden eines Gutachtens von PwC diesmal über die BaFin - sonst sind die Wirtschaftsprüfer gewöhnlich für die Aufsicht unterwegs - verlautbart wird, ist hart an der Grenze zur Vorverurteilung. Es sieht ganz so aus, als sei manchen die Gelegenheit sehr willkommen, den unbequemen Sanio loszuwerden. Der ist mit seinem ausgeprägten Selbstbewusstsein, das die intellektuelle Überlegenheit mitunter vielleicht eine Spur zu deutlich durchschimmern lässt, schon vielen Gesprächspartnern auf die Nerven gegangen. Auch Gesprächspartnern in Regierung und Parlament.
Aber Finanzaufsicht ist nun einmal keine Angelegenheit für Weicheier. Wenn Kontrolle wirken soll, muss sie den Kontrollierten bisweilen weh tun. Das wissen - ungeachtet gelegentlicher Klagen über eine allzu intensive und pingelige Beaufsichtigung - im Grunde auch Banken, Versicherer und Wertpapierhäuser. Die Qualität der Überwachung ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb der Finanzplätze, von Effizienz und Schlagkraft der Aufsicht seitens BaFin und Bundesbank profitieren mithin nicht zuletzt die Akteure selbst. Andererseits muss sich eine Aufsicht, was die Korrektheit ihres eigenen Handelns angeht, an allerhöchsten Ansprüchen messen lassen. Ein Ordnungshüter, der nicht Vorbild ist, verliert seine Glaubwürdigkeit. Die vom Bundesrechnungshof aufgedeckte, von Sanio selbst im April angezeigte Veruntreuung durch einen leitenden Beamten und mögliche weitere Korruptionsfälle sind deshalb für die BaFin megapeinlich, zumal der Vorwurf im Raum steht, dass sich die kriminelle Energie nicht zuletzt aufgrund organisatorischer Mängel und Kontrolldefizite entladen konnte.
Aber deshalb Sanio, dessen persönliche Integrität über jeden Zweifel erhaben ist und der sich als Finanzaufseher gerade auch auf der internationalen Bühne eines untadeligen Rufs erfreut, zum Abschuss freigeben? Wenn einer in der BaFin mit der gebotenen Härte aufräumen kann, um Wiederholungsfällen vorzubeugen, dann doch am ehesten er. Wer erst schießt und dann fragt, macht sich daher selbst verdächtig, dass es in Wirklichkeit darum geht, einen bequemeren Gesprächspartner zu installieren.
(Börsen-Zeitung, 12.9.2006)
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