Börsen-Zeitung: Mehr Klarheit und Wahrheit, Kommentar zur Erbschaftsteuer von Stephan Lorz
Frankfurt (ots)
Die Karlsruher Richter haben dem Gesetzgeber eine schallende Ohrfeige verpasst. Zu lange hat er sich um eine Neufassung des Erbschaftsteuerrechts herumgedrückt, jahrelang an den überkommenen Strukturen herumgepuzzelt und sich dabei vom verfassungsrechtlich gebotenen Gleichheitsgrundsatz mehr und mehr entfernt. Statt sich um ein neues, in sich stimmiges Steuerkonzept zu kümmern, wurde ein rechtliches Ungetüm geschaffen, das die politisch gewünschte Bevorzugung etwa von Immobilien und Betriebsübergaben nur über den Umweg der Vermögensbewertung erreicht. Das ist nicht nur verfassungswidrig, sondern auch höchst undurchsichtig und mit vielen Nebenwirkungen befrachtet, was dem Erbschaftsteuerrecht viel von seiner Zielgenauigkeit raubt.
Das Bundesverfassungsgericht hat solchem Gebaren nun einen Riegel vorgeschoben und den Gesetzgeber ultimativ zu einer Neuregelung bis Ende 2008 aufgefordert. Die Steuerbemessungsgrundlage soll künftig für alle Vermögenswerte nach gleichen Grundsätzen und verkehrswertnah ermittelt werden. Doch können, und hier akzeptiert das Gericht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, Ausnahmen formuliert werden, sofern hierzu ausreichende Gemeinwohlgründe vorliegen. Die große Koalition kann also das geplante Gesetz zur steuerlichen Begünstigung der Unternehmensnachfolge weiterverfolgen und muss daran wohl auch konzeptionell keine gravierenden Änderungen vornehmen. Viele Mittelständler werden aufatmen.
Durch die strikte Einheitlichkeit der Bewertungsmaßstäbe einerseits und die auf dieser Basis dann formulierten Ausnahmefälle andererseits kommt mehr Klarheit und Wahrheit in die Debatte. Die Politik muss künftig konkret begründen und benennen, weshalb welche Gruppierungen steuerlich begünstigt werden. Das bisherige Versteckspiel hat ein Ende.
Allerdings liegt in der Neufassung auch ein Risiko: Die SPD will nämlich eine neue Gerechtigkeitsdebatte vom Zaun brechen. Mit dem im nächsten Jahr anlaufenden Wahlkampf dürfte das Thema noch an Brisanz gewinnen. Kann also gut sein, dass das Erbschaftsteuerrecht dann doch wieder verkompliziert wird und die Zahl der Ausnahmen die grundsätzliche Zielrichtung abermals ad absurdum führt. Das Gemeinwohl liegt aus Sicht der Berliner Politpraktiker schließlich verdammt nah am Parteienwohl.
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