Börsen-Zeitung: Wider das Kurzfristdenken, Kommentar von Jürgen Schaaf zum Zinssignal der Europäischen Zentralbank
Frankfurt (ots)
Das war nicht einfach. Die Europäische Zentralbank (EZB) stand gestern vor einer ziemlich kniffligen Aufgabe. Sie wollte signalisieren, dass sie im März ein weiteres Mal den Leitzins erhöhen wird, um die Inflation in Schach zu halten. Dabei ist die Inflationsrate im Euroraum mit 1,9% bereits seit zwei Monaten im Zielbereich der EZB von "unter, aber nahe 2%".
Und alle Prognosen rechnen damit, dass die Teuerungsrate bis zum Sommer eher noch sinken könnte, als dass sie über die kritische 2%-Marke drifte. Der Konsens der Analysten erwartet, dass die Inflationsrate sogar im gesamten Jahresdurchschnitt im grünen Bereich bleibt. Angesichts dieser günstigen Aussichten sind weitere Zinsschritte schwer zu vermitteln.
Die Absicht, den für den Euroraum maßgeblichen Leitzins im März von derzeit 3,50% auf dann 3,75% anzuheben, hat NotenbankChef Jean-Claude Trichet zumindest "kristallklar" vermittelt. Mit der Formulierung, die EZB lasse "starke Wachsamkeit" walten, hat Trichet den nächsten Zinsschritt praktisch fest datiert. Zumindest hat sich diese Lesart unter EZB-Beobachtern eingebürgert.
Die Begründung war ungleich schwieriger an den Mann zu bringen. Aber auch das ist gelungen. Die aktuelle Inflationsrate sei das Ergebnis der Geldpolitik von gestern, sagte Trichet unmissverständlich. Eine Wirkungsverzögerung von zwölf bis 18 Monaten unterstellt, ist selbst die Inflationsprognose für das nächste Halbjahr - vor allem wenn sie von statistischen Basiseffekten bestimmt wird - recht uninteressant für eine zinspolitische Entscheidung im Hier und Jetzt. Trichet hat nicht bestritten, dass auch der EZB-Rat zunächst noch von einem weiteren Rückgang der Inflationsrate ausgeht, bevor sie im Herbst wieder anziehen dürfte. Die kräftige Konjunktur, die hohen Lohnforderungen, die sich etwa in der deutschen Metallindustrie abzeichnen, sind die entscheidenden Größen, die die zukünftige Teuerung bestimmen. Diese Risiken rechtfertigen ein weiteres Anziehen der Zinsschraube.
Den Akteuren an den Finanzmärkten wird mitunter vorgeworfen, sie seien zu sehr dem Kurzfristdenken verhaftet. Die EZB hat gestern völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass sie sich nicht von weichgezeichneten Momentaufnahmen beirren lässt, sondern über den Tag hinaus plant - und dann entschlossen handelt.
(Börsen-Zeitung, 9.2.2007)
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