Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 7. September 2010 den Atomkompromiss der Bundesregierung:
Bremen (ots)
Strahlende Sieger
von Joerg Helge Wagner Nach langem Ringen steht er nun endlich, der neue "Atomkompromiss" der Bundesregierung mit den Stromkonzernen und mit sich selbst. Und er wirft viele Fragen auf - auch an die rot-grüne Opposition. Ist nun der Eindruck "dreist" bestätigt worden, dass in Deutschland "Politik käuflich sei", wie SPD-Chef Sigmar Gabriel tobt? Oder ist das Ganze eher ein "Milliardengeschenk für RWE, Eon, EnBW und Vattenfall", wie Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin befindet? Geht gar beides zusammen: Die Regierung erhält etwas und verschenkt noch viel mehr? Trittin scheint der Wahrheit ziemlich nahe zu kommen, wenn man sich die Zahlen ansieht - die freilich zum Teil Prognosen sind. Etwa die 127 Milliarden Euro Zusatzgewinn für die Atomkonzerne, die das Freiburger Öko-Institut errechnet hat. Allerdings schwankten diverse Schätzungen vorher zwischen 30 und 200 Milliarden Euro - die Freiburger Zahlen wirken also keineswegs überhöht. Wie die Bundesregierung angesichts dessen darauf kommt, dass sie die Hälfte der Zusatzgewinne abschöpfen würde, ist eine weitere Frage. Da sie insgesamt von rund 30,2 Milliarden zusätzlicher Einnahmen ausgeht, wären das gerade 23,8 Prozent der Gewinne - also nicht einmal die Hälfte der Hälfte. Und da davon wiederum fast die Hälfte als Brennelementesteuer in den Löchern des Bundeshaushalts versickert, bleiben für Investitionen in erneuerbare Energien gerade einmal 12,9 Prozent übrig. Selbst wenn die Gewinnberechnungen des Öko-Instituts zu hoch sein sollten, haben die vier Energieriesen und ihre Aktionäre immer noch allen Grund zum Strahlen: Die zusätzlichen Kosten können sie nämlich als Betriebsausgaben geltend machen. Abgesehen davon sind sie absolut überschaubar, da die Brennelementesteuer nach sechs Jahren entfällt - ein Punkt, den die Konzerne mit harten Bandagen erkämpft haben. Diese Planungssicherheit in Sachen Restlaufzeit gibt es für die Regierung nicht: Es ist wegen der gegenseitigen Verrechenbarkeit von Laufzeiten alter und jüngerer AKW keineswegs klar, ob der letzte Meiler 2040 oder vielleicht erst 2050 von Netz geht. Da drängt sich die weitere Frage auf, ob die strahlenden Sieger von ihrer Beute auch etwas an die Verbraucher abgeben, zumal sie davon ja so gut wie nichts in die Sicherheit ihrer Atommeiler investieren brauchen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie verspricht, dass die gefundene Regelung "preisdämpfend auf die Strompreise in Deutschland" wirke - wahrscheinlich wirkt sie aber eher belebend auf die Dividende der Aktionäre. Das allein sind schon Gründe genug, einen "heißen Atomherbst" zu erwarten. Aber es gibt noch weitere Brandbeschleuniger So ist es keineswegs ausgemacht, dass das Bundesverfassungsgericht den Ländern ein Mitspracherecht bei der Gesetzgebung einräumt, wenngleich die Änderungen zum rot-grünen Ausstiegskompromiss von 2002 zweifellos gravierend sind. Allerdings könnten sich die Richter daran erinnern, dass für dieses Gesetz damals auch keine Zustimmungspflicht des Bundesrats bestanden hatte. Die letzte Frage betrifft die Entsorgung: Wohin mit dem Atommüll? Das treibt weite Teile der Bevölkerung mehr um als die Frage, ob eine Reaktorkuppel einem wenig wahrscheinlichen Flugzeugabsturz gewachsen ist. Da niemand das finale Atomklo in seiner Nachbarschaft haben will, gibt es auch noch keines - auf der ganzen Welt nicht. Wenn die Kernenergie also eine "Brückentechnologie" sein soll, wie die Regierung immer beteuert, bleibt zu sagen: Die Brücke ist viel zu lang und ihre Statik ist bedenklich. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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