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Rheinische Post: Mindestlohn: Vor dem Sündenfall

Düsseldorf (ots)

Von Sven Gösmann
Angst ist ein schlechter Ratgeber, auch in der Politik. Leider ist
die CDU eine ängstliche Partei. Und so hat sie sich in dieser Woche 
ein weiteres Stück vom Pfad ordnungspolitischer Tugenden entfernt, 
indem sie ihren Widerstand gegen den Post-Mindestlohn de facto 
aufgegeben hat. Auf Geheiß von Kanzlerin Angela Merkel zogen die 
CDU-geführten Regierungen von Hessen und Niedersachsen ihren 
Bundesrats-Antrag gegen eine Ausweitung des 
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die dynamisch wachsende 
Briefzustellbranche zurück. Zwar sicherte Merkel sich so ihren 
Koalitionsfrieden mit der SPD, dafür gab sie ein Stück 
christlich-demokratischer Identität preis. Denn wirtschaftspolitische
Vernunft gehörte über Jahrzehnte zu den Ausstellungsstücken im 
Schaufenster der Union, die ihre soziale Ader darüber nie vergaß.
Merkel öffnet nun den Weg zu einem staatlich verordneten Zwangslohn 
für die Branche der Briefzusteller. 9,80 Euro hat der einstige 
Monopolist Post mit den Gewerkschaften verhandelt. Die Post-Forderung
nach dem Mindestlohn für die Zusteller ist nicht mehr als der gut 
getarnte Versuch, das eigene Monopol auf dem Briefmarkt zu retten. 
Die Post schreibt ihrer Konkurrenz auf dem Markt Löhne in einer Höhe 
vor, die diese jungen Unternehmen schlicht nicht zahlen können.
Der von der Post mit den Gewerkschaften vereinbarte Mindestlohn 
trifft das Unternehmen selbst kaum. Der einstige Staatskonzern muss 
ohnehin an seine zahlreichen Beamten und sonstigen "Besitzständler" 
noch viele Jahre deutlich höhere Löhne zahlen. Übrigens: Dass der 
gelbe Riese im vergangenen Jahrzehnt 100.000 Jobs abgebaut hat, 
während die privaten Zusteller 50.000 schufen, erwähnen weder die 
Post noch ihre Kampagneros von der SPD.
So droht ein ordnungspolitischer Sündenfall erster Ordnung. Die 
Unionsparteien opfern aus Furcht vor dem Wähler wenige Monate vor den
Urnengängen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg eine ihrer 
wichtigsten Überzeugungen: dass in Deutschland Tarifpartner Löhne 
vereinbaren und nicht der Staat diese festlegt.
Wie auch beim "Antidiskriminierungsgesetz" wird deutlich, dass vielen
handelnden Figuren in der Unionsspitze der Kompass verlorengegangen 
ist. Ist etwas aus dem eigenen Programm nicht mehr von vornherein 
mehrheitsfähig, gibt man es mit Verweis auf die Koalitionsräson eilig
preis. Dabei wird der Mangel an Persönlichkeiten, die durch Argumente
die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen verstehen, augenfällig: 
In der Wirtschaftspolitik ist die CDU nach dem Abgang von Friedrich 
Merz eine intellektuelle Brachlandschaft.
Die Kanzlerin surft derweil auf den Schaumkrönchen der Außen- und 
moderiert die Innenpolitik. So verliert die Union in den 
Kabinettssälen eine Schlacht nach der anderen gegen die 
Sozialdemokraten, die ihrerseits unter dem Druck der 
Lafontaine-Partei das Koordinatensystem nach links verschieben. Dies 
zahlt sich in der öffentlichen Wirkung für die SPD noch nicht aus, 
schafft aber bleibende Hindernisse für die Wirtschaftsentwicklung. 
Der derzeitige Aufschwung der Konjunktur wie der staatlichen Finanzen
findet deshalb seine Antriebskraft in der Weltwirtschaft, gewiss 
nicht in der deutschen Politik.
Mindestlohn, das klingt schließlich nur populär, ist aber 
populistisch. Er wird sich wie ein Sargdeckel auf die Hoffnungen 
gering qualifizierter Arbeitssuchender legen. Für sie ist die Hürde 
9,80 Euro Mindestlohn gleichbedeutend mit Chancenlosigkeit oder dem 
Weg in die Schwarzarbeit. 50 000 Arbeitsplätze sind jetzt bei den 
privaten Briefzustellern in Gefahr. Man stelle sich vor, bei einem 
Konzern wie Siemens stünden Entlassungen in dieser Größenordnung 
bevor  Parteiführer jeglicher Couleur würden nicht müde, nach der 
Rettung der Jobs zu rufen.
So sind die Bediensteten der privaten Zusteller die großen Verlierer 
des zynischen Kalküls von SPD-Strippenzieher Franz Müntefering, der 
ein Wahlkampfthema gefunden hat, mit dem er die ängstliche Union vor 
sich hertreiben kann. Vergangene Woche verkündete er unwidersprochen 
vom Regierungspartner, er vertraue für die Zukunft auf "die weitere 
Sozialdemokratisierung der Bundesrepublik".

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Telefon: (0211) 505-2303

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