Rheinische Post: Parteitag der Ängstlichen - Von SVEN GÖSMANN
Düsseldorf (ots)
Für die Deutschen ist das Glas immer halbleer und nicht halbvoll. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man die jüngsten Volten der Sozialdemokraten und ihres Parteichefs Kurt Beck beurteilt. Die Linksdrift ist taktisch bestimmt, entspringt aber auch der Beck'schen Gefühlswelt. "Immer langsam mit de Leut" lautet das Credo des Pfälzers. So werden wir einen Hamburger Parteitag der SPD erleben, der in das sanfte Licht der Harmonie getaucht sein wird. Becks Rückkehr zur Stimmungsdemokratie soll die SPD mit ihrer jüngeren ungeliebten Geschichte als Reformpartei versöhnen. Ob sie auch zu einer Annäherung an den weggelaufenen Wähler führen wird oder ob der gleich weiter zu Lafontaines linker Truppe marschiert, ist jedoch fraglich.
Innerparteilich hat der "Buddha mit Zündschnur" (Andrea Nahles) seine Explosion schon hinter sich. Nach eineinhalb Jahren des Einsteckens hat er Müntefering zur Nebenfigur degradiert, und die internen Kritiker wie Peer Steinbrück sorgen sich vor allem um ihr Wahlergebnis auf dem Parteitag, weniger um das Land. Das führt zu grotesken Verrenkungen, wie sie jetzt bei Steinbrücks Auftritt als großer Kümmerer in der ARD-Show "Hart aber fair" waren. Der "Spiegel" schmähte ihn und seinen einstigen Mitreformer Steinmeier jüngst als "Hasenfüße im Gebüsch". Darüber ärgerte sich Steinbrück öffentlich so sehr, dass man den Verdacht bekommt, er könne in stillen Momenten Ähnliches über sich denken. Das wie alles andere dürfte man unter Sinnsuche einer in die Jahre gekommenen Volkspartei verbuchen, würde Beck mit seiner Agenda Rückwärts nicht jene Ängstlichen ermutigen, die im Verharren die beste Antwort auf die Fragen der globalisierten Zukunft sehen.
Auch in der CDU rumort es. Das Taktieren Angela Merkels ist eine unmittelbare Reaktion auf den Linksschwenk ihres Koalitionspartners. Die Kanzlerin hat erkannt, dass die soziale Gerechtigkeit oder was derzeit dafür ausgegeben wird, das zentrale Thema der Wahlkampfauseinandersetzungen 2009, aber auch der im Frühjahr 2008 anstehenden Landtagswahlen in Hamburg, Hessen und Niedersachsen sein wird. Die einstigen Erneuerer der Union wie Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen) geben sich ebenfalls weichgespült.
Somit verstärkt sich der Trend der letzten Monate, ausgelöst durch das Erstarken der Linken unter Lafontaine: Die Volksparteien verfallen in alte Fehler. Ob aus tatsächlicher Überzeugung oder um dem Wähler zu gefallen, wird die staatliche Regulierung wieder als probates Mittel zur Lösung aller Probleme gesehen - ob beim Mindestlohn oder beim Ruf nach dem Aufstocken von Subventionen aller Art, da wieder mehr Geld in der Kasse sei.
Um bei der Bahn zu bleiben: Der Hamburger Parteitag dürfte eine Weichenstellung für die gesamte deutsche Politik bringen - leider in die falsche Richtung: zurück und nicht nach vorn.
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