Rheinische Post: Splitter-Parlament
Düsseldorf (ots)
Ein Kommentar von Martin Kessler:
Auf den ersten Blick scheint das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Demokratie zu stärken. Die Stimmen, die wegen der Fünf-Prozent-Klausel bei Europawahlen unter den Tisch fielen, werden künftig voll gewertet. Immerhin waren das bei der jüngsten Wahl 2009 rund elf Prozent. Doch die Richter gehen mit ihrer Bewertung sehr formalistisch vor. Demokratie heißt nicht nur Gleichheit aller Stimmen, sondern auch Wahl und Abwahl einer Mehrheit. Diese wird erschwert, wenn Klein- und Kleinstgruppen den Wählerwillen in ihre Richtung interpretieren und ganz andere Mehrheiten herbeiführen können als der Wähler wünscht. Das spricht für eine Mindestgröße der Fraktionen und mithin für eine Sperrklausel. Noch stärker wiegt dieses Argument, wenn es darum geht, die Demokratie in Europa zu stärken. Denn bislang gibt es noch keine europäische Regierung, und das Parlament darf lediglich Zusammensetzung und Gesetze der EU-Kommission absegnen oder ablehnen. Geht der Weg aber in Richtung einer politischen Union in Europa, erschwert der Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde die Regierungsbildung. Ein geeintes Europa wäre politisch instabil. Insofern haben die Verfassungsrichter kurzsichtig entschieden.
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