Rheinische Post: 2007 - das Jahr der Deutschen
Düsseldorf (ots)
Von Sven Gösmann
Ihr Handy ist schon museumsreif, doch ihren Platz in den Geschichtsbüchern kann die Kanzlerin noch bestimmen: Jüngst übergab Angela Merkel eines ihrer Mobiltelefone dem Bonner Haus der Geschichte. Die Tasten des silbernen Siemens S 55 sind vor allem in der Mitte arg abgegriffen von den vielen Kurzmitteilungen, die sie im Laufe ihrer Kanzlerschaft in ihr zentrales Machtinstrument tippte Krisen-Management by SMS. Über die Adressaten ihrer Mitteilungen verrät die notorisch misstrauische Kanzlerin nicht viel. Doch mancher Merkel-Vertraute brüstet sich damit, wennx0e's bei ihm piept: Finanzminister Steinbrück, Außenminister Steinmeier sowieso, und gerade meldete EU-Kommissionspräsident Barroso stolz, dass auch er Handy-Post aus Berlin erhält. Die Liste ließe sich nicht beliebig fortsetzen. Damit wird klar, womit die Kanzlerin sich in den vergangenen Monaten bereits eifrig beschäftigt hat: Europa. Die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft am 1. Januar ist, daran lässt die Amtschefin im kleinen Kreis keinen Zweifel, ihre bisher größte Herausforderung. Die Kanzlerin selbst beschreibt es norddeutsch nüchtern: "Viele rote Teppiche, große Erwartungen." Merkel ist trotz ihrer nur knapp eineinhalb Jahre Amtszeit und der Würde und Bürde der Ratspräsidentschaft der politische Fixstern der aufgeblähten Staatengemeinschaft: Frankreichs Staatspräsident Chirac verabschiedet sich im Mai von der politischen Bühne; wie lange Tony Blair noch Großbritanniens Geschicke bestimmt, ist ungewiss. Alle Blicke richten sich also auf Merkel, die bisher mit einem eher schwammigen EU-Begriff gearbeitet hat: Europa ist für sie Friedens- und Freiheitsbündnis, sie muss jetzt daraus die Weltmacht schmieden, die der Kontinent eigentlich ist. Doch Merkel weiß auch, dass sie als Außenkanzlerin allein vor ihrem heimischen Publikum nicht bestehen wird. So kam ihre Absage an den von SPD-Chef Kurt Beck eingeforderten Reformstopp im Innern prompt. Merkel setzt weiter auf viele kleine Schritte: bei der Pflegeversicherung, aber auch bei der Gesundheit braucht es Kompromisse, die wenigstens bis zur nächsten Wahl 2009 tragen. Ihre Machtbasis in der eigenen Partei ist derweil seit dem Dresdner Parteitag gefestigt, ihr bayerischer Widersacher Stoiber mit sich selbst beschäftigt. Die unbekannte Größe, siehe Beck, ist für Merkel der Koalitionspartner SPD. Die Frage nach der besten Ausgangsposition für einen möglichen Kanzlerkandidaten Beck befeuert die Personalspekulationen über eine Kabinettsumbildung des sozialdemokratischen Teils der Bundesregierung: Beck statt Müntefering, Beck und Müntefering, dazu Gabriel statt Struck als Fraktionschef? Angela Merkel wird auch 2007 wieder viele SMS schreiben müssen. Gut, dass sie gleich zwei neue Handys hat.
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