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ver.di-Medien-Info: ver.di und Betriebsräte fordern einen Pakt für die Verkehrswende

Ver.di und Betriebsräte fordern einen Pakt für die Verkehrswende

Gemeinsam mit Betriebsräten von zehn kommunalen Nahverkehrsunternehmen fordert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) heute (10. Oktober 2023) die Mitglieder der Verkehrsministerkonferenz auf, eine Perspektive für die Verkehrswende zu entwickeln.

„Die Verkehrsminister, allen voran der Bundesverkehrsminister, müssen endlich aus der Deckung kommen. Jeder Tag, an dem wir nicht handeln, wirft uns um Monate und Jahre zurück“, erklärt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Betriebsräten der kommunalen Unternehmen aus München, Frankfurt, Köln, Leipzig und weiteren Städten. Notwendig sei ein gemeinsamer Pakt zum Ausbau des ÖPNV zwischen Politik, Unternehmen und Gewerkschaften.

Verkehrswende kommt ins Stocken – Zu wenig Geld und Beschäftigte

ver.di und die Betriebsräte weisen darauf hin, dass man sich immer weiter von einer Verkehrswende entfernt habe. Die Finanzierung der Unternehmen stehe auf tönernen Füßen. In fast allen Städten mit U-Bahnen, Stadtbahnen oder Straßenbahnen würden die Kosten für die Infrastruktur und den Betrieb schon jetzt die Kommunen deutlich überfordern.

Auch der steuerliche Querverbund mit den Stadtwerken helfe nicht mehr. Die Gewinne der Stadtwerke würden immer geringer, so dass für die Verkehrsunternehmen immer weniger finanzielle Unterstützung übrigbleibe. Auch im ländlichen Raum fehle Geld, um beispielsweise die Anzahl der Fahrzeuge zu erhöhen und eine bessere Infrastruktur und Anbindung zu schaffen und somit die Verkehrswende einzuleiten.

Die Diskussion um die Finanzierung des Deutschlandtickets sorge zusätzlich für Verunsicherung. Eine Planung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Anstellung von Beschäftigten, die Erhöhung der Fahrzeuge und Verkehrstakte sowie notwendiger Investitionen sei nicht möglich, wenn Unklarheit darüber bestehe, wieviel Geld im nächsten und übernächsten Jahr zur Verfügung stünde. In allen Bundesländern bestehe massiver Personalmangel. Jedes Jahr gehen allein 8.000 Beschäftige in den Ruhestand, durch Krankheit und Fluktuation fehlt in allen Unternehmen Personal. Im gesamten Bundesgebiet fallen Verkehre aus, viele ÖPNV-Unternehmen stehen schlechter da als vor der Pandemie. So sei die Verkehrswende nicht zu schaffen.

Personalmangel ist hausgemacht

Für ver.di und die Betriebsräte sind die Personalprobleme keine Überraschung.

„Das Problem, vor dem wir im ÖPNV bundesweit stehen, ist hausgemacht. Der demographische Wandel kam nicht über Nacht. Die Politik hätte schon seit Jahren reagieren und die Kommunen finanziell unterstützen müssen, um im ÖPNV mehr Beschäftigte ausbilden und neu einstellen zu können“, betont die ver.di-Vize. Neben dem demographischen Wandel gebe es weitere Ursachen, die dazu führten, Beschäftigte zu finden. In zwanzig Jahren Restrukturierung seien die Arbeitsbelastungen enorm gewachsen. Zwischen 1998 und 2017 wurden 18 Prozent des Personals abgebaut, während die Verkehrsleistung um 24 Prozent stieg. Die Arbeitsbelastung für die Beschäftigten hat dadurch stark zugenommen, der Druck wird immer größer. Die Betriebsräte beklagen, dass häufig nur der Fahrplan Maßstab sei, der Mensch spiele kaum eine Rolle. Daneben sei außerdem das Gehalt ein wichtiger Aspekt, es müsse deutlich attraktiver werden. Auch unter dem Gesichtspunkt von langen Schichten, zahlreichen Überstunden und häufiger Gewalt vor allem gegenüber dem Fahrpersonal sei die Entlohnung unzureichend.

Tatsächlich sind Arbeitsplätze im ÖPNV nicht mehr attraktiv - das gilt in allen Tätigkeiten, aber insbesondere im Fahrdienst. Der Bundesverband Deutscher Omnibusfahrer (bdo) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verweisen häufig darauf, dass der Zugang zum Busführerschein hierbei eine Rolle spiele. Nach ihren eigenen Angaben kommen heute auf jeden Arbeitsplatz im Fahrdienst jedoch zwei Menschen mit gültigem Busführerschein.

„Es gibt also eine riesige Reserve. Die Branche und die Politik müssen sich fragen lassen: Warum wollen dann so wenig Menschen im ÖPNV arbeiten?“, betont Behle. Ein zusätzliches Problem sei eine falsch geführte Diskussion über Digitalisierung. Für viele stelle sich die Frage, warum sie den Beruf des Busfahrers ergreifen sollen, wenn das autonome Fahren kommt. Dabei würde die Digitalisierung zahlreiche neue Berufsfelder im ÖPNV eröffnen. Diese Perspektiven würden jedoch nicht deutlich gemacht.

Schlüssel ist Entlastung und Aufwertung

ver.di und die ÖPNV-Betriebsräte kritisieren zudem die aktuellen Konzepte der Politik und der Branche. So hatte der VDV in den vergangenen Monaten eine Verlängerung der Wochen- und der Lebensarbeitszeit sowie den Einsatz von Rentnern als Busfahrer vorgeschlagen. Solche Ansichten sind aus Sicht von ver.di und der Betriebsräte völlig indiskutabel. Ein guter ÖPNV sei nur durch gut geschulte Beschäftigte unter guten Arbeitsbedingungen und zu guten Konditionen leistbar. Das sei zudem auch für die Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV eine wichtige Voraussetzung, schließlich müsse die Sicherheit der Fahrgäste gewährleistet werden.

Nach Aussage der ÖPNV-Betriebsräte, würden Beschäftigte der Automobilbranche nicht in den ÖPNV wechseln, wenn eine gelungene Verkehrswende auf Kosten der Beschäftigung in der Automobilbranche gehen würde. Dazu seien Gehalt und Arbeitsbedingungen zu wenig attraktiv. Auch Beschäftigte aus dem Ausland würden häufig schnell feststellen, dass es in Deutschland attraktivere Tätigkeiten als im ÖPNV gebe.

Der einzige Schlüssel, um Arbeitsplätze im ÖPNV attraktiv zu machen und Beschäftigte zu gewinnen, sind Entlastung und Aufwertung.

Verkehrswende braucht Investitionen

Entlastung und Aufwertung im ÖPNV kosten zusätzlich Geld und zwar schon dann, wenn das Angebot nicht weiter ausgebaut wird. Um einen sicheren und verlässlichen ÖPNV zu schaffen, wird dringend mehr Personal benötigt.

Laut Berechnungen der Arbeitgeber auf Basis der aktuellen Arbeitsbedingungen würden für die Verkehrswende nochmals 30.000 zusätzliche Beschäftigte benötigt –Dazu kommen nachzuholende Investitionen – laut Difu-Institut 64 Mrd. Euro bis 2030.

„Wenn wir den ÖPNV bis 2030 verdoppeln wollen – und er dann auch funktionieren soll – brauchen wir ab sofort jährlich 16 bis 18 Mrd. Euro zusätzlich – plus die Zuschüsse zum Deutschlandticket und Inflationsausgleich“, betont Behle. „Das können die Kommunen nicht stemmen, hier müssen Bund und Länder mit in die Verantwortung.“

Politik darf sich nicht länger verstecken

ver.di und die Betriebsräte fordern daher ein echtes Bekenntnis zu Verkehrswende: Seit 2019 verspricht die Verkehrsministerkonferenz eine Verdoppelung des ÖPNV bis 2030. Bis heute gibt es zur Umsetzung jedoch keine Planung. Das betrifft auch die Branche selber. Ideen zur Beseitigung des Personalmangels fehlen bislang noch immer.

Die Gewerkschafter fordern daher von der Verkehrsministerkonferenz ein Bekenntnis zu ihrer Verantwortung sowie ein gemeinsames Vorgehen. „Der längst überfällige Ausbau- und Modernisierungspakt wird allein nicht helfen. Wir brauchen auch einen Personalpakt. Und wir brauchen die Zusage, dass Bund und Länder die steigenden Kosten absichern. Wenn wir die Verkehrswende schaffen wollen, muss das Versteckspiel aufhören. Es muss endlich damit begonnen werden, eine vernünftige Planung zu erarbeiten“, betont Behle.

Zitate von Betriebsräten aus kommunalen Nahverkehrsunternehmen:

Kevin Miers (Betriebsratsvorsitzender, BOGESTRA): „Wir sind heute von einer Verkehrswende weiter weg als je zuvor. Die Finanzierung unserer Unternehmen steht auf tönernen Füßen.“

Roland Salz (Betriebsratsvorsitzender, HAVAG): „Die Überschüsse der Stadtwerke werden immer schmaler, für den ÖPNV bleibt da bald nichts mehr. Die Finanzierung geht dann auf die Stadt über.“

Marco Steinborn (Betriebsratsvorsitzender, Kölner Verkehrsbetriebe): „Die Kommunen dürfen nicht mit der Finanzierung der Verkehrs- und Klimawende im Stich gelassen werden. Ohne entsprechende finanzielle Mittel droht ein Stillstand in der Verkehrswende, weil sich die Kommunen diese schlichtweg nicht leisten können.“

Jens Herrmann-Kambach (Konzernbetriebsratsvorsitzender, Leipziger Verkehrsbetriebe): „Jedes Jahr gehen allein 8.000 Beschäftige in den Ruhestand, durch Krankheit und Fluktuation fehlt in allen Unternehmen Personal: In der ganzen Republik fallen Verkehre aus, viele stehen schlechter da als vor der Pandemie. So werden wir die Verkehrswende nicht schaffen. Wir brauchen endlich ein ÖPNV-Paket mit Bund, Ländern, Verkehrsbetrieben, Gewerkschaften und Betriebsräten. Das Ping-Pong-Spiel muss aufhören!“

Renate Büttner (stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, Rheinbahn): „Die Arbeitsbelastung ist enorm - Maßstab ist fast nur der Fahrplan, der Mensch spielt keine Rolle. Und für das Geld, das wir bekommen, gibt’s woanders bequemere Jobs: ohne lange Schichten, ohne so viele Überstunden und ohne Gewalt ausgesetzt zu sein.“

Lars Winkelsträter (Betriebsrat, DSW 21): „Viele denken: Wieso soll ich Busfahrer werden, wenn das autonome Fahren kommt. Dabei bringt die Digitalisierung lauter neue Jobs bei uns. Aber keiner zeigt den Leuten, welche Perspektiven sie dort haben!“

Cornelius Müller (Betriebsratsvorsitzender, Stadtwerke München, Mobilität und Münchner Verkehrsgesellschaft): „Eine Verkehrswende findet keine Akzeptanz, wenn sich Arbeitsbedingungen für Menschen verschlechtern. Zu den heutigen ÖPNV-Rahmenbedingungen möchte niemand aus der Automobilindustrie zu uns wechseln. Auch Beschäftigte aus dem Ausland erkennen, dass sie außerhalb von teuren Ballungsräumen oder in anderen Sektoren attraktivere Arbeitsbedingungen finden können.“

Kerstin Schütte (Betriebsratsvorsitzende, Duisburger Verkehrsgesellschaft AG): „Der städtische/ländliche ÖPNV muss in der Finanzierung auf andere Sockel gesetzt werden, auch mit Mitteln des Bundes und Landes. So dass in Zukunft die Kommunen in die Lage versetzt werden, die jetzigen Kosten sowie die zukünftige Verkehrswende zu bezahlen ohne bei den Beschäftigten zu sparen.“

Jürgen Rötzer (Betriebsratsvorsitzender, VAG Nürnberg): „Am Ende brauchen wir mehr Kolleginnen und Kollegen als bisher – nur so schaffen wir einen sicheren und verlässlichen ÖPNV, für die Verkehrswende und unsere Fahrgäste.“

Thomas Heimbürger (Betriebsratsvorsitzender, VGF Verkehrsgesellschaft Frankfurt/Main): „Seit 2019 verspricht die Verkehrsministerkonferenz eine Verdoppelung des ÖPNV bis 2030. Bis heute hat sie keinen Plan, wie das umgesetzt werden soll und wer es bezahlt. Aber auch die Branche schläft. Eine solide Idee, wie sie dem Personalmangel Herr werden will, fehlt.“

Sonja Detmer (Betriebsrat, Wuppertaler Stadtwerke mobil GmbH): „Um die Klimaziele 2035 zu erreichen, bedarf es klare und verbindliche Zusagen zur ÖPNV-Finanzierung in Infrastruktur und Investitionen. Für den Fachkräftemangel ist es unabdingbar an den Arbeitsbedingungen was zu verändern."

Janine Köhler (stellvertretende Gesamtpersonalratsvorsitzende Berliner Verkehrsbetriebe): „Um Arbeitsplätze im ÖPNV attraktiv zu gestalten, insbesondere im Fahrdienst, bedarf es planbares Geld für Investitionen. Rettungsschirme alleine hindern die Unternehmen, die notwendigen Investitionen zu planen und vorzunehmen.“

V.i.S.d.P.

Martina Sönnichsen 
ver.di-Bundesvorstand
Paula-Thiede-Ufer 10
10179 Berlin

Tel.: 030/6956-1011, -1012
E-Mail:  pressestelle@verdi.de
 www.verdi.de/presse
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