"Ich gab Romy Schneider ihren ersten Kuss!" Tele 5 Exklusiv-Interview mit Claus Biederstaedt, der deutschen Synchronstimme von Marlon Brando
München (ots)
'Der letzte Tango in Paris' auf Tele 5: So, 27.04. 22.15 Uhr
Er war der Sonnyboy des Nachkriegskinos, Synchronsprecher von düsteren Helden und macht heute erfolgreich Theater. Das zu seinem 80. Geburtstag geplante Stück 'Trau keinem über 60' wurde gerade kurzfristig abgesagt. Claus Biederstaedt muss wegen Hüftproblemen ins Krankenhaus. Im Tele 5-Interview spricht er über schöne Frauen, Höhenflüge, Tränen und die Liebe zum Kino.
Tele 5: Herr Biederstaedt, in 'Der letzte Tango in Paris' bedenkt Marlon Brando seine Geliebte mit obszönen Kraftausdrücken. Wie war das für Sie, Anfang der 70er Jahre, so etwas zu sprechen?
Claus Biederstaedt: Das war seltsam, da habe ich schon geschluckt. So frei war man ja damals noch nicht. Als der Film dann im Kino lief, wusste ich zuerst nicht, ob ich meine Frau überhaupt mitnehme, aber wir haben ihn dann doch zusammen gesehen.
Haben Sie Brando gerne synchronisiert?
Über Brando war ich erstmal entsetzt, weil (imitiert Brandos zischelndes Raunen), der spricht ja so komisch. Wenn man diese Stimme hat, das ist ein Schicksal. Aber ich habe es wahnsinnig gerne gemacht. Als ich die Szene am Totenbett gesprochen habe, das ging mir richtig an die Nieren, da habe ich echte Tränen geweint.
War die Kino-Aufführung ein großes Ereignis?
'Der letzte Tango in Paris' ist damals falsch vorgestellt worden, das fand ich sehr schade. Es war die Sex-Sensation, das Perverseste, was man sich vorstellen kann. Ich sehe den Film aber vielmehr als eine Passion oder ein Requiem für einen Mann, der nichts weiter auf dieser Welt sucht als den Tod und ihn findet in diesem Mädchen.
Es geht um die Verbindung von Sex und Tod.
Ja, und um diese Endzeitsituation in der Brando sich befindet. Er kreist ja nur darum, das Letzte noch auszuschöpfen, auszuprobieren, um dann endlich zu sagen: So, es hat sich nicht gelohnt. Verkauft wurde der Film wie ein Porno. Und es wurde von der Kanzel hinunter empfohlen, vorsichtig ausgedrückt, diesen Film nicht zu besuchen. Drastischer war es bei der 'Sünderin' (1951) mit Hildegard Knef. Da hieß es, "Wehe ihr geht in diese Sündenhäuser und guckt euch diese zwei Sekunden nackte Knef an!" Sehr prüde.
Als Synchronsprecher - ob von Brando, Peter Falk, James Garner oder Albert Finney - kontrastieren Sie Ihr Image des artigen jungen Mannes.
Das macht einfach Spaß, in Rollen zu schlüpfen, die man vielleicht auch hätte spielen können, aber in Deutschland wird einem das nicht zugetraut.
Sind Sie unterschätzt worden?
Na ja, das ist hier immer kommerzdiktiert: Wenn ein Schauspieler einen bestimmten Typus abdeckt, wie die Produzenten heute sagen, dann wollen wir froh sein, dass wir den haben. Eigentlich bin ich ein ganz anderer Typ, ernsthafter. Aber so wurde ich der fröhliche junge Mann, nach dem sich die Schwiegermütter sehnen.
Nicht nur die Schwiegermütter. Sie waren ein großer Frauenschwarm.
Ich habe für Frauen geschwärmt - aber umgekehrt eben auch! Das ist ja nach wie vor das Schönste, was dem lieben Gott eingefallen ist. Das leugne ich auch nicht. Ich hatte Gott sei Dank aber auch Mentoren, die mir gesagt haben: "Claus, die Erde ist hier, da gehört man hin. Nicht da oben, da ist die Luft sehr dünn."
Sie hatten Höhenflüge?
Wenn man dermaßen adoriert wird und Waschkörbe voller Briefe bekommt, dann bleibt das nicht aus, dass man sagt: "ich bin ja so toll."
Wie war das damals ein Star zu sein?
Unglaublich, die Menschen haben sich schier umgebracht, um uns zu sehen. Wir waren wie Kaiser oder Ersatzkönigshäuser. Dieser Kult, das Unnahbare wurde ganz bewusst praktiziert. Wenn ich an unsere Filmpremieren denke: Da fuhr ein dreieckiger Polizeikordon auf Motorrädern, wir saßen im offenen Auto mit einer Konfettiparade und fuhren durch eine Flucht von Straßen, alle schwarz von Menschen. Das Kino war ein großer Saal mit Riesenleinwänden und zwei bis dreitausend Plätzen. Da bekamen wir natürlich etwas von einem Denkmal, das überlebensgroß ist.
Was hat sich verändert?
Ehrfurcht oder Bewunderung sind Vokabeln, die heute nicht mehr existieren. Heute wird dauernd der Superstar gesucht, alles ist super und mega, wobei es kaum noch Stars gibt.
Warum nicht?
Es ist einfach zu schnelllebig, man hat nicht die Distanz, es fehlt das Piedestal. Der Star ist ja jemand, der unerreichbar ist, so war das damals. Dabei gibt es auch heute großartige Schauspieler.
Sie haben damals mit den schönsten Frauen gedreht, auch mit Romy Schneider, wie war das?
Niedlich, sie war 16, ich 26. Unser Filmkuss war der erste Kuss ihres Lebens. Später haben wir zusammen synchronisiert, 'César und Rosalie', (französischer Film mit Yves Montand und Romy Schneider). Das Synchron-Drehbuch war so miserabel, dass sie sagte: "Das mache ich nicht, ich hau' ab." Alle waren verzweifelt. Eine Katastrophe, wenn Romy Schneider in der deutschen Fassung ihre Rolle nicht selbst spricht. Ich konnte sie aber verstehen. Und dann hab ich ihr gesagt: "Du kannst französisch, komm, wir versuchen zusammen einen besseren Text daraus zu machen."
Und sie hat mitgemacht.
Ja, und danach hat sie mich umarmt und gesagt: "Du bist der Erste und Einzige, der so konstruktiv mit mir umgegangen ist!" Weil alle um sie herum vor lauter Scheu arrogant wurden. Dieses Mädchen hat ein Leben gehabt, das die Mutter versaut hat. Kinderstars werden auf einen Thron gesetzt, den sie nicht ausfüllen können.
Hatten Sie Affären mit Schauspielkolleginnen?
Mir gefallen wesentliche Frauen besser, Frauen die ansehnlich sind und was im Kopf haben. Wenn ich Schönheiten sehen will, dann gehe ich in die Uffizien. Schauspielerinnen haben mich nie interessiert.
Zu eitel?
Nein, auch zu zugekleistert. Diese Küsserei im Film: kaum machen sie "mhm" heißt es schon: "Maske!" und es muss wieder zugekleistert werden. Entsetzlich! Meine Frau Barbara ist Kieferorthopädin.
Sie sind zum zweiten Mal verheiratet und seit 37 Jahren miteinander glücklich?
Ja, sehr. Und was mich wahnsinnig freut: Wir haben ein ganz tolles Verhältnis zu meiner ersten Frau Ingrid. Sie ist die Mutter meines Sohnes, wir waren damals 13 Jahre zusammen und heute ist sie eine richtige Freundin.
Warum haben Sie mit Film und Fernsehen aufgehört?
Man hat mich aufgehört, ich werde nicht mehr gefragt - bin aber in einer sehr prominenten Gesellschaft, die nicht mehr beschäftigt ist. Ich habe zum Glück immer Theater gespielt. Inzwischen bin ich so weit, dass ich auch viel Regie führe und mir die Stücke sogar aussuchen kann. Das macht mich glücklich, dass ich das erreicht habe. Die nächsten eineinhalb Jahre sind komplett verplant.
Das Theater hält offensichtlich jung...
Ja, sowohl mnemotechnisch als auch physisch. Und ich bin stolz darauf, dass ich es geschafft habe, zwölf Kilo abzunehmen. Morgens nur Obst, dann etwas Hüttenkäse oder Quark und abends habe ich dann richtig gegessen. Und natürlich trinke ich Rotwein, das ist das Lebenselixier schlechthin.
Wollten Sie mal nach Hollywood?
Hilde Knef wollte so gern, dass ich mit nach Hollywood komme. Das habe ich Laszlo Benedek erzählt, mit dem ich 'Kinder, Mütter und ein General' gedreht habe (auch Regisseur von 'Der Wilde' mit Marlon Brando). Benedek hat gesagt: "Was willst du da? Europa hat die besten Schauspieler der Welt. Wir in Hollywood haben ein paar gute Typen, gute Schauspieler brauchen wir nicht."
Nur sehr wenige haben sich dort durchgesetzt.
Das waren perfide Methoden. Die Amerikaner haben die deutschen Stars abgesahnt, weil die hier so einen hohen Marktanteil hatten. Nach dem Motto, "wir schöpfen die ab, stellen sie ruhig, dann sind sie weg vom deutschen Markt und unsere Filme haben einen Platz." Gerd Fröbe war der einzige, der in Hollywood ein bisschen reüssierte.
Worüber weinen Sie?
Ich habe keinen Grund unglücklich zu sein. Aber es regt mich auf, dass oft so lax mit Sprache umgegangen wird. Ich habe jüngst im Hotel mit einer jungen Rezeptionistin geredet, die den Vorzug hatte, auch noch hübsch zu sein, deshalb war das Gespräch etwas intensiver. Ich habe sie gefragt: "Wieso sagen Sie eigentlich immer frühmorgens um sieben 'Schönen Tag noch!', das ist doch eine Restbezeichnung, eine Abgrenzung. Sagen sie lieber mal: 'Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!'" Oder ich werde gefragt: "Wie war Ihr Name?" Da sag ich: "Ich hoffe, der bleibt noch!"
Interview: Michaela Simon
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