Lausitzer Rundschau: Debatte über Armut in Deutschland: Biedermann und Brandstifter
Cottbus (ots)
Armut in einem der reichsten Länder der Erde ist auch immer ein Armutszeugnis für die herrschende Politik. Sie hat bei der Herstellung von Gerechtigkeit versagt. Kein Wunder, dass die Bundesregierung ihren jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht deshalb eher verschämt in die Öffentlichkeit tröpfeln lässt. Insbesondere für die SPD ist er eine schallende Ohrfeige. Schließlich sitzt sie schon seit zehn Jahren an den Schalthebeln der Macht. In dieser Zeit ist die Kluft zwischen Arm und Reich stetig gewachsen. Dabei hat die Zahl der Erwerbstätigen mit rund 40 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. Was auf den ersten Blick paradox anmutet, wurde von Rot-Grün und später Schwarz-Rot nach Kräften gefördert. Etwa, indem die Zumutbarkeitsreglungen für die Aufnahme einer Tätigkeit drastisch gesenkt wurden. Wenn der Bericht aus dem Hause von SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz den dramatischen Ausbau des Niedriglohnsektors jetzt besorgniserregend nennt, dann drängt sich der Vergleich zu Max Frischs Biedermann und die Brandstifter auf: Man sieht das Problem, ist aber zu ängstlich, um etwas dagegen zu tun. Der Lohndruck im unteren Bereich ließ jedoch auch die Einkommen bei der Mittelschicht stagnieren. Dort ist die Angst vor dem sozialen Abstieg am stärksten ausgeprägt. Bleibt nüchtern festzuhalten, dass Arbeit kein Garant mehr gegen Armut ist. Vorschläge, diese Entwicklung in der Bundesrepublik aufzuhalten, gibt es reichlich. Die CSU will die Mittelschicht steuerlich entlasten, die SPD pocht auf Mindestlöhne und geringere Sozialabgaben, weil davon auch Niedrigverdiener etwas haben. Der DGB und die Linkspartei rufen nach einer höheren Reichensteuer. Und fast alle sagen, dass für Kinderbetreuung und Bildung mehr getan werden muss. Für sich genommen bleibt jede dieser Forderungen allerdings Stückwerk. Notwendig ist ein sinnvoller Mix. Ja, es stimmt, Bildung ist der Anfang von allem. Ohne einen ordentlichen Schul- und Berufsabschluss ist der Weg in die Armut vorgezeichnet. Auch die Entlastung der Durchschnittsverdiener ist gut und richtig, damit von Brutto endlich wieder mehr Netto übrigbleibt. Wer sich ernsthaft mit solchen Entlastungen beschäftigt, wird jedoch an einer Umverteilung von oben nach unten nicht vorbei kommen. Beispiel Erbschaftssteuer. Es ist ein Skandal, dass die Union darauf beharrt, auch nach der Reform dürfe das Aufkommen jährlich nicht mehr als vier Milliarden Euro betragen. Schätzungen zufolge werden in Deutschland allein bis 2010 rund eine Billion Euro vererbt. Tendenz stark steigend. Beispiel Vermögenssteuer. Diese Steuerart wurde bereits in der Ära Kohl beerdigt. Auch die SPD hat sich damit offenbar abgefunden. Natürlich wäre das Geschrei bei einer Neuauflage groß. Von wegen, dann verlassen alle Reichen das Land. Merkwürdig nur, dass von einer massenhaften Abwanderung Gutbetuchter aus Regionen mit wesentlich höheren Steuersätzen wie etwa Skandinavien nichts bekannt ist.
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