Lausitzer Rundschau: Zu Deutschland/Anti-Semitismus: Wahrheit und Klarheit
Cottbus (ots)
Die Lausitzer Rundschau, Cottbus, zu Deutschland/Anti-Semitismus:
Das Bild von mordenden roten Horden gehört zu den Urängsten des deutschen Bürgertums. Dies dürfte nur den wundern, der vergisst, dass der einheimische Bourgeois ja selbst keine Revolution zu Stande brachte. Gepaart hat sich dieses Schreckensgemälde insbesondere in katholischen Gegenden mit dem Antisemitismus und gipfelte in der Vorstellung vom blutrünstigen jüdischen Polit-Kommissar. Wohin solche Zerrbilder führen, wissen wir heute alle. Dass sie dennoch immer wieder hochgespült werden, gehört zu den bitteren Erfahrungen der Nachkriegsgeschichte - vornehmlich im Westen der Republik und bei denen, die den neuen Bundesländern gerne Nachhilfeunterricht in Sachen Diktatur und Demokratie erteilen. Verteidigungsminister Struck hat daraus gestern die notwendigen Konsequenzen gezogen, die CDU-Chefin Merkel dagegen bislang nicht. Dabei geht die subtile Unterstellung, die Juden hätten ja ihren Teil der Verantwortung an den Verbrechen der braunen Völkermörder an die Substanz dessen, was insbesondere eine dem Christentum verpflichtete Politik im Nachkriegsdeutschland ausmacht. Schon die Behauptung, die bolschewistische Bewegung und besonders die tschekistischen Verbrechen seien eine Sache der Juden gewesen, ist schlichtweg Geschichtsklitterung. Was überhaupt hat der millionenfache Mord an den Juden Europas mit dem Kommunismus zu tun? Nichts verbindet die junge Holländerin Anne Frank oder die katholische Nonne Edith Stein oder den wunderbaren polnischen Pädagogen Janus Korczak, der seine Waisenkinder auch in der Gaskammer nicht allein ließ, mit den Revolutionären in Petrograd, die allesamt an keinen Gott glaubten und deren schrecklichster Verbrecher Stalin bekanntlich in einem Priesterseminar groß geworden war. Wenn im Deutschland des Jahres 2003 ein Bundestagsabgeordneter diese geschichtlichen Fakten in Frage stellt, dann stellt er sich selbst ins Abseits. Dem einst in deutschem Namen angerichteten Grauen kann ein Demokrat nicht dadurch ausweichen, dass er die folgenschweren Legenden wieder aufgreift, die ihren Anteil hatten an der Rechtfertigung des Völkermords. Dies weiß die Chefin der CDU, die dabei auch von ihren eigenen Erfahrungen des Lebens in einer ganz anderen Diktatur zehren kann. Sie weiß, dass die Wahrheit nicht ein beliebiges Gut ist, sondern Klarheit verlangt im Umgang mit denen, die ihr Böses wollen. Deswegen wird sie sich jetzt der Frage stellen müssen, ob ihre Führungsqualitäten auch einer grundsätzlichen Herausforderung standhalten.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau
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