Memorandum des Kolpingwerkes Deutschland zum Schutz des menschlichen Lebens
Köln (ots)
Über die Wahrung der Menschenwürde zu wachen und das menschliche Leben vom ersten bis zum letzten Augenblick zu schützen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des staatlichen Handelns und wird vom Grundgesetz garantiert.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Bereits mit der Befruchtung von Ei und Samenzelle steht jeder Embryo unter dem grundgesetzlichen Schutz der Menschenwürde. Am uneingeschränkten Lebensschutz bewährt sich das Funktionieren unseres demokratischen Rechtsstaates und entscheidet sich seine Glaubwürdigkeit.
Die Erfahrungen des Nationalsozialismus mit den ungezählten Verletzungen der Menschenwürde und dem Verlust der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens haben die "Mütter und Väter des Grundgesetzes" wachsam gemacht. Deshalb haben sie das Grundrecht auf Menschenwürde mit einer "Ewigkeitsgarantie" ausgestattet, das nicht durch parlamentarische Mehrheiten abgeschafft werden kann. Der Lebensschutz ist nicht allein Aufgabe des Staates und der Politik, sondern der gesamten Gesellschaft. Die Einhaltung der Grundrechte obliegt in besonderer Weise dem Bundesverfassungsgericht. Mit Besorgnis beobachtet das Kolpingwerk Deutschland dennoch ein schwindendes Bewusstsein für den Lebensschutz; das wirkt sich auch auf politische Entscheidungen und den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens aus.
Darauf weist die Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland hin und erwartet von Bundestag, Bundesregierung und den vollziehenden Landesbehörden eine verstärkte Sorgsamkeit in der Verwirklichung des Lebensschutzes. Dabei sollen folgende Problemfelder besonders in den Blick genommen werden:
Embryonenschutz
Eine künstliche Befruchtung ist nicht eine reine Privatangelegenheit der Beteiligten. Deshalb hat der Gesetzgeber in Deutschland bereits seit 1990 die Reproduktionsmedizin aus ethischen Gründen durch das Embryonenschutzgesetz reguliert und in verantwortbare Bahnen gelenkt. Die missbräuchliche Verwendung von Fortpflanzungstechniken wird unter Strafe gestellt. Die Praxis der Reproduktionsmedizin hat diesen Schutz inzwischen jedoch ausgehöhlt.
Die Untersuchung und Auswahl von künstlich befruchteten Embryonen (Präimplantationsdiagnostik = PID) ist grundsätzlich verboten und wird nur in ganz seltenen Fällen juristisch nicht verfolgt. Voraussetzung für Ausnahmen ist unter anderem die zustimmende Bewertung im Einzelfall durch eine unabhängige, interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission für PID auf Länderebene.
In der Praxis wird die Eindeutigkeit der gesetzlichen Bestimmungen vielfach unterlaufen oder infrage gestellt. Das führt zu erheblichen Diskrepanzen: Während die Bundesregierung im Dezember 2015 von fünf PID bundesweit ausging, die bayerische Staatsregierung im März 2016 die Zahl von bayernweit 43 PID veröffentlichte, bekennt sich eine einzige Reproduktionseinrichtung in Bayern zu 984 PID allein in den Jahren 2014 und 2015. Die mit der Aufsicht beauftragten Landesregierungen schreiten selten ein. Von den im Gesetz vorgesehenen Einzelfallentscheidungen, die jeweils von einer der fünf im Bundesgebiet geschaffenen Ethikkommissionen getroffen wird, kann demnach nicht die Rede sein.
Gemäß Embryonenschutzgesetz dürfen bei einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) nicht mehr Eizellen einer Frau befruchtet werden, als innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen, laut Gesetz höchsten drei Embryonen. Die veröffentlichten Zahlen zeigen, dass vielfach mehr Kinder durch zunächst eingefrorene Embryonen geboren wurden als durch "frische" Befruchtungen. Zurück bleiben auf diese Weise ungezählte eingefrorene Embryonen, die nicht mehr benötigt werden. Das, was der Gesetzgeber verhindern wollte, dass nämlich tausende künstliche befruchtete Embryonen eingefroren und später getötet werden, droht zum Alltag zu werden.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass zwischen dem vom Gesetzgeber gewünschten Lebensschutz und der vorhandenen Alltagspraxis in der Reproduktionsmedizin eine riesige Kluft besteht, die im Sinne des Lebensschutzes unerträglich ist.
Das Kolpingwerk Deutschland fordert die für die Aufsicht zuständigen Bundesländer sowie die der Justiz unterstellten Strafverfolgungsbehörden auf, wirkungsvoll dagegen einzuschreiten. Bundestag und Bundesregierung fordert das Kolpingwerk Deutschland auf, bei der Anwendung künstlicher Befruchtungen den wirksamen Schutz des menschlichen Lebens zu gewährleisten.
Vorgeburtliche Tests
Im August 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen eine Prüfung angekündigt, ob ein einfacher Bluttest zur Erkennung des Down-Syndroms bei Ungeborenen künftig eine Regelleistung der Kassen wird. Der sogenannte "Praenatest" dient keinerlei therapeutischen Zwecken, sondern stellt ausschließlich ein Selektions-Instrument zur Feststellung des Down-Syndroms bei Ungeborenen dar, das nicht therapierbar ist. In neun von zehn Fällen führt diese Annahme erfahrungsgemäß zu einem Schwangerschaftsabbruch.
Eine größere Form der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ist kaum vorstellbar. Unsere Gesellschaft darf nicht den Blick für die Grenzen zwischen dem technisch Machbaren und dem ethisch Vertretbaren verlieren. Neue Methoden dürfen nicht zu einer Diskriminierung behinderten Lebens und zu einer Selektion führen, welches Leben lebenswert sein soll und welches nicht. Mit derartigen Tests wird mehr und mehr eine Vorstellung geprägt, die einer Programmierbarkeit des Lebens folgt. Für das Akzeptieren von Unvollkommenheit oder Behinderung lässt ein solches Denken vom perfekten Menschen keinen Raum mehr. So steigt auch der gesellschaftliche Druck auf Eltern, vorgeburtliche Tests durchzuführen und bei einem auffälligen Befund einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Ansonsten müssen sie befürchten, dass ihnen von der Gesellschaft vorgehalten wird, trotz bestehender Testmöglichkeiten behindertes Leben geboren zu haben.
Das Kolpingwerk Deutschland wendet sich entschieden gegen das Vorhaben, diesen Test als Routineuntersuchung zu akzeptieren und durch die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren.
Schwangerschaftsabbruch
Das aktuelle Beispiel zeigt: Bei Schwangerschaftskonflikten kann es zu einer Grundrechtskollision zwischen dem Recht auf Leben des ungeborenen Kindes einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter andererseits kommen. In möglichen Konfliktsituationen gilt es, allen Beteiligten mit Respekt zu begegnen.
Bei der Abwägung - so der Gesetzgeber - muss der Frau bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und dass deshalb ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann.
Ein ungelöstes Problem aus Sicht des Lebensschutzes ist zudem die Praxis der Spätabtreibung. Denn nicht nur bei einer Gefahr für das Leben der Mutter, sondern auch bei der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren können Spätabtreibungen bis unmittelbar vor der Geburt des Kindes vorgenommen werden.
Das Lebensrecht des Ungeborenen steht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes nicht zur freien Verfügung. Schwangerschaftsabbruch muss für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen werden und demgemäß rechtlich verboten sein, so stellt es das Bundesverfassungsgericht fest. Das allgemeine Rechtsbewusstsein werde dadurch geprägt und gestützt. Deshalb hat der Gesetzgeber anstelle einer Strafbarkeit eine Beratungspflicht gestellt, um das Verantwortungsbe-wusstsein der Mutter für das Leben des ungeborenen Kindes zu stärken.
Der Deutsche Bundestag nimmt - entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes - lediglich jährlich einen statistischen Bericht über die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland entgegen. Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte grundsätzliche Prüfung, ob die Wirkung der gültigen gesetzlichen Regelung zur Wahrung des Lebensschutzes ausreicht und den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichtes entspricht, hat seit Urteilsverkündung im Jahr 1993 noch nicht im Deutschen Bundestag stattgefunden.
Mit Befremden stellt das Kolpingwerk Deutschland fest, dass sich unter den anerkannten und staatlich geförderten Trägern von Beratungsstellen in Schwangerschaftskonflikten auch solche Organisationen befinden, die eine Abwägung zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes einerseits und den möglichen Nöten und Konfliktsituationen der schwangeren Frau andererseits völlig ablehnen. So überrascht auch nicht, dass in den Positionen und Publikationen dieser Träger der Schwangerschaftskonfliktberatung mit keinem Wort das Lebensrecht des ungeborenen Kindes erwähnt wird.
Bedauerlich und im Ergebnis verheerend ist der Rückzug der katholischen Kirche aus dem Beratungssystem gemäß § 219 StGB im Jahr 2001. Der Initiative "Donum Vitae", die aus Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und aus Trägern früherer katholischer Beratungsstellen hervorgegangen ist, ist es zu verdanken, dass es weiterhin Beratungsstellen gibt, deren Träger uneingeschränkt hinter den gesetzlichen Regelungen und den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichtes für eine grundgesetzkonforme Umsetzung der Konfliktberatung stehen.
Eine Beratung im Sinne des § 219 StGB kann nur gewährleistet sein, wenn die Beratungsstelle auch in der Lage ist, eine entsprechende Bescheinigung auszustellen. Deshalb fordert die Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland die Deutsche Bischofskonferenz auf, das bei Donum Vitae erbrachte Engagement aus christlicher Verantwortung heraus anzuerkennen. Vor dem Hintergrund des Bewusstseinswandels in der Gesellschaft und der eingetretenen Beratungspraxis empfiehlt das Kolpingwerk Deutschland eine Rückkehr in das Beratungssystem nach § 219 StGB.
Sterbebegleitung und Sterbehilfe
Das Kolpingwerk Deutschland wendet sich gegen jede Form organisierter und kommerzieller Suizid-Beihilfe. Die unantastbare Würde des Menschen und der notwendige Schutz Schwerkranker vor Fremdbestimmung machen nach Ansicht des katholischen Sozialverbandes eine solche Ablehnung notwendig. Der Deutsche Bundestag hat mit seinem "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" im November 2015 ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und für ein Sterben in Würde gesetzt. Allerdings wurde in den Debatten und in entsprechenden Umfragen deutlich, dass es durchaus starke Kräfte gegen die jetzt geltende Regelung gibt.
Viele Menschen befürchten eine mögliche Hilflosigkeit im hohen Alter, besonders bei einer schweren Krankheit. Sie sehen dies als eine Bedrohung an, für die sie einen Ausweg suchen. Weder Suizid noch aktive Sterbehilfe sind eine Lösung. Die zuletzt vor drei Jahren veränderte Richtlinie der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung hat hier Klarheit geschaffen. Gleichrangige Aufgaben des Arztes sind demnach, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die Ärzteschaft betont selbst, dass es Situationen gibt, in denen Therapieverfahren nicht mehr angezeigt sind, sondern eine palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund tritt. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist dagegen keine ärztliche Aufgabe. Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige dürften nicht in Gewissenskonflikte gebracht werden. Zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechtes als Patient ist es unerlässlich, die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Dazu gehören Willensbekundungen gegenüber den Vertrauenspersonen über Behandlungswünsche im Krankheitsfall sowie rechtliche Regelungen durch Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung.
Das Kolpingwerk Deutschland begrüßt es, dass gemeinsam mit der Gesetzgebung zum Verbot der organisierten Suizid-Beihilfe auch die Rahmenbedingungen für die Hospiz- und Palliativversorgung entscheidend verbessert werden. Dazu gehören der Ausbau der Angebote in strukturschwachen und ländlichen Regionen, die Vernetzung von Angeboten der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie der hospizlichen Begleitung durch ambulante und stationäre Angebote sowie die Verankerung der Palliativmedizin als Teil der ärztlichen Regelversorgung. Das Kolpingwerk Deutschland fordert eine zeitgerechte und konsequente Umsetzung.
Der Lebensschutz ist nicht allein Aufgabe des Staates und der Politik, sondern der ge-samten Gesellschaft. Deshalb sind alle verbandlichen Ebenen aufgerufen, durch Aufklärung, Gewissensbildung und praktische Hilfe für Frauen in Not sowie Schwerkranke am Schutz des menschlichen Lebens mitzuwirken.
Beschlossen durch die Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland Köln, den 23. Oktober 2016
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