Berliner Morgenpost: Merkel muss mehr Freiraum wagen
Berlin (ots)
Angela Merkel hat mit der Zauberkraft der Entschleunigung oft gepunktet. Als etwa eine schlecht beratene CSU in der bayerischen Landtagswahl mit dem Argument allzu hoher Benzinpreise die Rückkehr zur Pendlerpauschale forderte, blieb die Kanzlerin eisern. Die Entwicklung gab ihr recht. Hätte sie nachgegeben, müsste man mit der damaligen CSU-Begründung die Pauschale heute wieder abschaffen - so billig ist Sprit inzwischen geworden. Aber Entschleunigung darf nicht zur Tatenlosigkeit werden. In der gestrigen Haushaltsdebatte im Bundestag hielt Merkel an ihrer Ablehnung sofortiger Steuersenkungen fest. Nicht nur die FDP protestierte. Auch die CSU hat ein Thema gefunden, wenn sie sich in dieser Frage deutlich von der Kanzlerin abgrenzt. Orchestriert wird die lauter werdende Kritik an der Kanzlerin aus Brüssel: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bewirbt ein 200-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm, das vor allem die Mitgliedsländer finanzieren sollen - nicht zuletzt durch niedrigere Steuern und Lohnnebenkosten. Die Skepsis der Kanzlerin gegenüber staatlichen Investitionsprogrammen ist nachvollziehbar. Eine steuerliche Entlastung insbesondere des Mittelstands aber ist anders einzuordnen. Die Angst vor demnächst leeren Staatskassen taugt nicht als Widerrede. Merkel selbst nämlich wies als Oppositionspolitikerin die rot-grüne Regierung gern auf die sogenannte Laffer-Kurve hin. Nach der Theorie des Ökonomen Arthur Laffer können staatliche Steuereinnahmen gerade durch die Senkung der Steuersätze steigen, weil "mehr Netto vom Brutto" in den Taschen der Konsumenten die Nachfrage belebt und die Konjunktur stimuliert. Ronald Reagan bewies einst die Praxistauglichkeit dieses Modells. Merkel ist möglicherweise mehr CDU-Vorsitzende als Regierungschefin, wenn sie stur bleibt und Steuersenkungen erst in der nächsten Legislaturperiode beschließen möchte. Wie glaubwürdig geriete aber das Versprechen der Entlastung der Bürger im Wahlkampf, wenn in der Politik der großen Koalition unter einer CDU-Kanzlerin davon nichts zu finden ist? Es mag Merkel ärgern, dass ausgerechnet ihr Rivale Friedrich Merz, der im September die Politik verlässt, seiner Partei einen Kurswechsel und Steuersenkungen vor der Wahl anempfiehlt. Falsch wird dieser Rat dadurch nicht. Die Kanzlerin stimmte gestern einmal mehr die Bürger auf schlechte Nachrichten im nächsten Jahr ein. Sie verbreitete aber auch Optimismus: 2010 werde es wieder besser werden. Deutschland sei "sehr stark", die Unternehmen seien gut gerüstet. Das stimmt. Doch verstärkt belastet wurde in den vergangenen Jahren der einfache Steuerzahler. Soll er trotz Krise konsumieren und investieren, muss Merkel mehr Freiraum für den Bürger wagen. So rasch wie möglich.
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