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Berliner Morgenpost: Das Phänomen der Schwarzmalerei

Berlin (ots)

Einer der spannendsten Versuche der
Motivationspsychologie ist das sogenannte Rosenthal-Experiment. Als 
junger Harvard-Professor besuchte der in Deutschland geborene und vor
den Nationalsozialisten in die USA geflüchtete Forscher Robert 
Rosenthal in den Sechzigerjahren eine Volksschule in einer sozial 
schwachen Gegend San Franciscos. Dem Direktor erklärte Rosenthal, er 
habe eine Methode erfunden, mit der er vorhersagen könne, welche 
Schüler alsbald besonders große Lernfortschritte machen würden. 
Beeindruckt verfolgten die Lehrer die Tests des großen Professors. 
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit verriet Rosenthal den 
Klassenlehrern schließlich, welche drei Schüler sich hervortun 
würden. Dann verschwand der Forscher.
Als er nach acht Monaten zurückkehrte, hatten sich viele seiner 
Prognosen als zutreffend erwiesen. Viele der Kinder waren tatsächlich
besser geworden. Der Witz war nur: Rosenthal hatte gar kein Verfahren
entwickelt und die Schüler nur zum Schein getestet. Er hatte Schüler 
nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Rosenthal wollte das Phänomen der
sich selbst erfüllenden Prophezeiung beweisen. Allein die Tatsache, 
dass die Lehrer einer Prognose glaubten, hatte die Schüler besser 
werden lassen. Offenbar hatten die Pädagogen den vermeintlich 
Talentierten etwas aufmerksamer zugehört, Fragen gestellt oder 
beantwortet, sich ein bisschen mehr gekümmert. Der Glaube schuf 
Realität. Der Rosenthal-Effekt ist seither in vielen Experimenten 
bestätigt worden: Wenn eine Gruppe oder ihre Anführer an eine bessere
Zukunft glauben, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es auch so 
kommt. Allerdings funktioniert der Effekt auch umgekehrt: Die 
kollektive Angst vor einer nahenden Katastrophe macht dieselbe 
womöglich schlimmer, als sie letztendlich wird.
Wie in den Jahren 2003 und 2004 redet sich Deutschland derzeit wieder
einmal systematisch in den Abgrund. Damals rief Professor Sinn das 
Ende des Standorts Deutschland aus, der Bestseller zum Blues hieß: 
"Deutschland - Der Abstieg eines Superstars". Zweifelsohne steht die 
Welt vor schweren Zeiten. Zugleich stimmt aber auch: Viele Länder der
Welt sind deutlich schlechter für diese Krise aufgestellt.
Der derzeitige Wettkampf von Politik, Bankern und Wissenschaftlern, 
wer das grausigste Untergangstremolo anstimmt, erzeugt einen 
negativen Rosenthal-Effekt. Statt an die eigenen Fähigkeiten zu 
glauben, orakelt sich ein Land in die Angststarre. Der 
Einkaufsgutschein-Irrsinn beflügelt die Ängste noch: Die einen fragen
sich, warum sie heute einen Fernseher kaufen sollen, den sie alsbald 
womöglich geschenkt bekommen? Die anderen fühlen sich an 
Lebensmittelkarten und Nachkriegselend erinnert. Lähmung erstickt 
Entschlossenheit. Wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu 50 
Prozent von Psychologie bestimmt sind, dann sollten die 
schwarzmalenden Eliten dringend auf die Couch. Zuversicht und 
Zusammenhalt sind gefragt, nicht Düsternis.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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