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Berliner Morgenpost: Hände weg vom Grundgesetz - Kommentar

Berlin (ots)

Das Jahr 20 nach dem Fall der Mauer reizt
offensichtlich die Politiker, sich mal wieder mit der DDR und der 
deutsch-deutschen Entwicklung zu beschäftigen. Das ist grundsätzlich 
sinnvoll, würde nur nicht laufend dummes Zeug geredet. Auch von 
Menschen, die es besser wissen müssten. Zu Ostern hat sich der 
SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering in den Reigen derjenigen 
eingereiht, denen es nicht um die Sache, sondern um Stimmenfang geht.
Weil das Jahr 20 nach dem Fall der Mauer eben auch ein wichtiges 
Wahljahr ist - mit Europawahl, Landtags- und Kommunalwahlen und der 
Bundestagswahl am 27.September.
Müntefering schlug vor, eine gesamtdeutsche Verfassung zu schaffen. 
Das Verhältnis zwischen Ost und West leide darunter, weil "wir 
1989/90 nicht wirklich die Wiedervereinigung organisiert haben, 
sondern die DDR der Bundesrepublik zugeschlagen haben", so der 
SPD-Politiker, der zu dieser Zeit Bundestagsabgeordneter und ab 1990 
parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion war. Bei
den Ostdeutschen gebe es weiterhin Skepsis, weil man keine gemeinsame
Verfassung geschaffen, sondern das Grundgesetz übergestülpt habe. Das
müsse man aufarbeiten, sagte Müntefering.
Was der SPD-Mann, der heute 69 Jahre alt ist und die DDR mit all 
ihrem Unrecht und Grausamkeiten sehr genau beobachtet und politisch 
begleitet hat, damit meint, sagte er am Wochenende leider nicht. Was 
will er in eine solche gesamtdeutsche Verfassung hineinschreiben? Den
Sozialismus? Die Einheitsschule? Die Begrenzung der Reisefreiheit? 
Und was ist schlecht am Grundgesetz der Bundesrepublik?
Auch die Aussage, dass Grundgesetz sei übergestülpt worden, ist 
historischer Unfug. Erinnern wir uns: Im Jahr 1989 flohen die 
DDR-Bürger in Scharen über Ungarn und Tschechien in die 
Bundesrepublik, nach der friedlichen Revolution konnten die 
Ostdeutschen gar nicht schnell genug das bundesdeutsche System 
übernehmen. Das war keine Zwangsvereinigung damals.
Populistische, zumal falsche Äußerungen schaden dem Zusammenwachsen 
von Ost und West, das auch 20 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes 
häufig noch so schwierig ist. Sozialdemokraten wie Müntefering oder 
der Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, der
jüngst erklärte, die DDR sei kein totaler Unrechtsstaat gewesen, 
sondern habe auch Stärken gehabt, verfestigen die Vorurteile eher 
noch. Sellering - bundesweit der wohl am wenigsten bekannte 
Ministerpräsident Deutschlands - ging es um Wählerstimmen und um 
seine eigene Popularität. Müntefering hat das eigentlich nicht nötig,
aber die SPD liegt in Umfragen weit hinter der CDU, da wird jede 
Stimme gebraucht. Auch die der Ostdeutschen.
All den Einheits-Rednern kann eins geraten werden: Hände weg vom 
Grundgesetz. Es hat sich bewährt, und es ist ein wirklich wertvolles 
Gut, auf das die Deutschen - übrigens 60 Jahre nach der Gründung der 
Bundesrepublik - stolz sein können. Wessis wie Ossis.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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